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RL #019: Warum Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil wissenschaftlichen Arbeit sein sollte

Wir von Oikoplus bieten Wissenschaftskommunikation an. Aber warum eigentlich? Was war noch einmal der Zweck der Kommunikation von Forschungsergebnissen an ein breites Publikum? Gibt es für Forschung nicht ein Fachpublikum? Reicht es nicht, wenn jene über Forschung lesen und reden, die sich damit auskennen? Naja. Es gibt triftige Gründe für einen breiten Ansatz in der wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit. In dieser Reading List finden sich einige davon.

Im Deutschen gibt es den Ausdruck „Auf den Boden der Tatsachen zurückkehren”. Die Metapher wird gern verwendetet, um dazu aufzufordern, eine Diskussion wieder an der geteilten Faktenbasis zu kallibrieren, wenn sie ausgeufert ist, und sich Unwahrheiten oder Lügen eingeschlichen haben. Wissen über Tatsachen und Fakten sind das Ergebnis von Forschung und Wissenschaft. Es geht dabei also genau um den Boden aus der Metapher. Und auf diesem Boden sind eben nicht nur Expertinnen und Experten unterwegs, sondern wir alle – auch wenn wir alle ihn gelegentlich verlassen. Manche seltener, manche häufiger, ob bewusst oder unbewusst.

Für eine integrativere Wissenschaft

Mónica Feliú-Mójer hat im Jahr 2015 für den Blog von Scientific American zusammengefasst, weshalb Kommunikation für bessere Wissenschaft sorgt. Wenn Wissenschaftler in der Lage sind, über ihre Fachkolleg_innen hinaus effektiv mit einem breiteren, nicht-wissenschaftlichen Publikum zu kommunizieren, stärke das die Unterstützung für die Wissenschaft und fördere das Verständnis für ihre breite Bedeutung für die Gesellschaft und rege zu einer fundierteren Entscheidungsfindung auf allen Ebenen an, von der Regierung über die Gemeinden bis hin zum Einzelnen. Kommunikation könne die Wissenschaft außerdem auch für Zielgruppen zugänglich machen, die traditionell vom wissenschaftlichen Prozess ausgeschlossen sind. Sie könne somit dazu beitragen, dass die Wissenschaft diverser und integrativer werde.

Für das Allgemeinwohl

In Texten über Wissenschaftskommunikation liest man immer wieder, die Forschenden dürften den Kontakt zur Gesellschaft nicht verlieren. Natürlich nicht. Wieso sollte Forschung außerhalb der Gesellschaft stehen? Im Idealfall soll die Forschung schließlich der Gesellschaft dienen. Dieses Verhältnis zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft ist jedoch keineswegs selbstverständlich. Toss Gascoigne und Joan Leach, beide Professoren am Centre for the Public Awareness of Science der Australian National University, argumentieren in einem Beitrag für The Conversation, das 20. Jahrhundert könne historisch als ein langes Plädoyer für die Wissenschaftskommunikation im Interesse des Gemeinwohls gelesen werden.

Auch Forschende lesen nicht nur Research Papers

Einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Wissenschaftskommunikation, der sogar bis ins 19. Jahrhundert reicht, unternimmt Dmitry Dorofeev in einem Beitrag über die Bedeutung laienverständlicher Wissenschaftskommunikation auf dem Life-Sciences-Portal news-medical.net 

Danach habe ein Redakteur der Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse im Jahr 1895 zufällig von der Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Röntgen erfahren, die Bedeutung glücklicherweise erkannt und einen Artikel auf der Titelseite seiner Zeitung untergebracht. Dieser Artikel sei daraufhin vom London Chronical und der New York Sun aufgegriffen worden, und einige Tage später auch von der New York Times. Die schnelle Verbreitung der News über die für die Medizin revolutionäre, bildgebenden Methode in Massenmedien habe dazu beigetragen, dass die Röntgentechnologie schon im folgenden Jahr in über 1000 wissenschaftlichen Artikeln erwähnt worden sei, so Dorofeev. Schließlich – das gilt bis heute – informieren sich auch Forschende nicht nur in Fachpublikationen.

Werbung oder PR?

Forschung und Wissenschaft so zu kommunizieren, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben können, damit das Gemeinwohl davon profitiert und damit auch die Forschenden selbst sich leichter über die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen informieren können, das sind edle Gründe, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Daneben dient die Wissenschaftskommunikation zunehmend auch der Werbung und PR für einzelne Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsstandorte. Empirisch haben sich Peter Weingart und Marina Joubert an der Stellenbosch University in Südafrika 2019 mit den Motivationen, Wissenschaftskommunikation zu betreiben, beschäftigt. Auf Grundlage ihrer Erkenntnisse über die zunehmend aktiv betriebene Wissenschaftskommunikation kommen sie zu dem Schluss, dass eine Unterscheidung zwischen pädagogischen und werblichen Formen von Wissenschaftskommunikation dringend geboten sei. Nur so kann die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft erhalten bleiben.

Es gibt als viele sehr gute Gründe, Wissenschaft und die Ergebnisse von Forschung so zu kommunizieren, dass sie für möglichst viele Menschen verständlich und interessant sind. Der wichtigste aller Gründe bleibt dabei, dass jener anfangs zitierte Boden der Tatsachen bestellt gehört. Denn auf ihm erwachsen Neugier, Erkenntnis und Innovation. 

In unserem Projekt ArcheoDanube versuchen wir deshalb, Archäologie touristisch nachhaltig zu erschließen und die Ergebnisse von Forschung über die Geschichte des Donauraums möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Gerade ist der vierte Newsletter des Interreg-Projekts erschienen.

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RL #018: Schreiben mit Lesefluss: Über die Reduktion des Energieeinsatzes im Leseprozess

In der Wissenschaft lesen wir ständig. Und zwar lesen wir lange Texte, kurze Texte. Monografien, Sammelbände, Abstracts. In den Naturwissenschaften sind Paper meist kürzer und folgen einem straff organisiertem Aufbau. Bei den Sozialwissenschaften hingegen, sind die Texte länger und in der Struktur fluider. In beiden finden wir Sprachbilder, Beispiele und Vergleiche. Sie geben den Ergebnissen einen Rahmen. Disziplinenübergreifend gilt, dass unsere im Lesen und Verstehen geübten Leser*innen, entsprechend der Textqualität mehr oder weniger Energie aufwenden. Genau damit setzt sich diese Reading List auseinander.

Et= Esyn+Esem

2014 schrillten die Alarmglocken in der US-amerikanischen Wissenschaftsszene: erstmals seit 35 Jahren, würden Wissenschaftler*innen weniger lesen. Bald stellte sich heraus: die Analyse war falsch und der Titel des Artikels verwirrend. Tatsächlich lesen Wissenschaftler*innen seit den 1970er Jahren nämlich immer mehr. Und zwar 264 Artikel im Jahr; oder 22 pro Monat. In einem im Nature veröffentlichten Beitrag, gibt Richard Van Noorden Einblick in die Details der Lesegewohnheiten von Wissenschaftler*innen.

Für jeden neuen Artikel lassen sich die Kolleg*innen auf ihnen zuvor oft unbekannte Narrative und Schreibstile ein. Ohne die Inhalte zu kennen, bringen sie dafür Energie auf. Die totale für das Verarbeiten eines Satzes notwendige Energie (Et) setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: der syntaktischen Energie (Esyn) und der semantischen Energie (Esem). Damit argumentiert jedenfalls Jean-Luc Lebrun im 2007 veröffentlichten Buch “Scientific Writing”.

Am besten nachvollziehen, lässt sich der benötigte Energieaufwand beim selbst lesen. Wie einfach fällt es Ihnen lange, umständlich strukturierte Sätze zu dechiffrieren und – viel wichtiger – konnten Sie neben der Struktur auch den Inhalt erfassen? Um die Komplexität selbst geschriebener Sätze zu verdeutlichen, kann es helfen alle Hauptaussagen (den Verbund von Nomen und Verb) zu unterstreichen. Je größer die Abstände zwischen den unterstrichenen Passagen, desto umständlicher die Formulierungen. Wir sind an Lebruns’ Kern angekommen.

Foto von D0N MIL04K von Pexels

Satzstrukturen aufbrechen

Damit Ihre Leser*innen beim Dechiffrieren von Satzstrukturen Energie sparen und diese für das Verstehen der Inhalte aufwenden können, gibt es eine Reihe von Strategien. Im Jahr 2013 veröffentlichten Tomi Kinnunen et al. Von der Universität Ostfinnland den SWAN – Scientific Writing Assistant. Das in einem Paper beschriebene SWAN baute auf den von Lebrun aufgestellten Prämissen auf und sucht in Texten nach besonders herausfordernden Satzstrukturen: Schachtelsätze, Nominalstrukturen, Langatmigkeit. Leider wurde das Projekt 2013 eingestellt. In Teilen, übernehmen heute Programme wie z.B. Grammarly diese Funktion. Aber aufgepasst: mit grammatikalischen Strukturen darf, wenn es denn der Verarbeitung von Inhalten zuträglich ist, gebrochen werden. Auch in wissenschaftlichen Essays.

Foto von Katelyn von Pexels

Besondere Bedeutung kommt beim Aufbrechen von Satzstrukturen den Satzzeichen zu: Kommata, Strichpunkten, Doppelpunkten und Gedankenstrichen. In einem Blogbeitrag der Writing Cooperative, zeigt Karen deGroot Karter auf, wie Satzzeichen nicht nur richtig, sondern auch den Lesefluss unterstützend, eingesetzt werden können. Ausführlicher wird Stephen Wilbers. Der Verwendung von Satzzeichen widmet er Week 21 in Mastering the Craft of Writing. Seine These lautet, dass zwar alle Satzzeichen trennen; dabei aber verschiedene stilistische Möglichkeiten bieten. Mit Kommata lässt sich spielen.

Schlussbemerkung

Lesefluss lässt sich quantifizieren. Das tut zum Beispiel ein WordPress-Plugin auf dieser Website. Der Flesch Reading Ease dieser Reading List liegt dem Plugin zufolge bei 32,3. Angeblich ist der Text schwer zu lesen. Grund für den niederen Score sind zu lange Sätze und zu wenige Worte, die einen Übergang andeuten. Sich davon verunsichern zu lassen, wäre aber falsch. Es gibt gewiss Leser*innen und Autor*innen, die den Text als gut leserlich bezeichnen würden. Und bei 22 Artikeln im Monat und 264 Artikeln im Jahr, dürfte auch für wissenschaftliche Publikationen gelten, dass nicht alles, was als unlesbar gilt, auch unverständlich ist. Sich mit dem eigenen Schreiben auseinanderzusetzen, kann jedenfalls dabei helfen, die eigenen Gedanken und Ideen besser zugänglich zu machen.

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RL #017: Ethik in der Wissenschaftskommunikation

In dieser eher kurzen Reading List, widmen wir uns der Frage, ob es ethische Standards gibt, die Wissenschaftskommunikation einhalten sollte. Eine simple Antwort lautet: Ja, natürlich. Bei genauerer Betrachtung ist die Fragestellung aber gar nicht so banal. Denn Debatten um ethische Fragen sind sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Kommunikationsbranche allgegenwärtig. Für die Wissenschaft gelten nicht die Gesetze der Kommunikationsbranche – und für die Kommunikationsbranche gelten keine wissenschaftlichen Standards. In der Praxis wurde diese gar nicht so kleine Differenz zu Beginn der Corona-Pandemie deutlich, nämlich als die Regierung des deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen eine Studie in Auftrag gab und diese dann auch noch von einer professionellen PR-Agentur maximal ausgeschlachtet wurde, wobei der PR-Agentur möglicherweise auch die Interpretation der wissenschaftlichen Ergebnisse überlassen wurde. Den Fall fasst ein Artikel von KOM – Magazin für Kommunikation zusammen.

Die Gute Wissenschaftliche Praxis

Erst durch die hohen Standards, die sie bei der Produktion von Wissen an sich selbstanan anlegt, wird die Wissenschaft zur Wissenschaft. Zu diesen Standards wissenschaftlichen Arbeitens zählen neben der Transparenz und der Reproduzierbarkeit ihrer Methoden auch Aspekte wie Ehrlichkeit, Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit. In Summe führt die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards zur Guten Wissenschaftlichen Praxis. Wissenschaftliche Standards sind die Antwort auf die Frage, wie Forschung betrieben werden muss, um als Wissenschaft anerkannt zu werden. Sie sorgen für die Unterscheidbarkeit wissenschaftlichen Wissens von Erfahrungswissen, Anecdotal Knowledge, bloßer Überlieferung oder religiöser Erkenntnis. Sie sorgen für wissenschaftliche Integrität. Eine umfängliche Definition dieser Standards findet sich im European Code of Conduct for Research Integrity.

Ständiges Self-Assessment

Die Gute Wissenschaftliche Praxis allein reicht jedoch nicht unbedingt aus, um auch ethischen Standards gerecht zu werden. Die Gute Wissenschaftliche Praxis beantwortet die Frage, wie Forschung zu betreiben ist, um integer zu sein. Ethische Standards berühren darüber hinaus die Frage, was in der Forschung zu tun bzw. zu unterlassen ist. Dabei geht es um die Rolle menschlicher und tierischer Versuchsobjekte in der Forschung, um den Umgang mit persönlichen Daten, von Fotos bis zum individuellen menschlichen Genom. Viele Forschungseinrichtungen setzen bei der Frage nach der Ethik in der Wissenschaft auf die dauernde Selbstüberprüfung der Forschenden. Für die Umsetzung solcher Self-Assessments in EU-geförderten Projekt bietet die Europäische Kommission Guidelines.

Die Gute Wissens-PR

Das alles betrifft die Wissenschaft. Aber wie steht es um die Ethik in der Wissenschaftskommunikation? Gibt es auch Standards und Kriterien für gute Science-PR und Dissemination, oder gar für die ethisch korrekte SciComm? Um es vorweg zu nehmen: Ja, es gibt solche Standards, z.B. aufgestellt 2016 von Wissenschaft im Dialog und dem deutschen Bundesverband Hochschulkommunikation. Sie finde sich hier.

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RL #016: Minecrafts’ Hühnerbeschleuniger und Neugierde in der Wissenschaft

In dieser Reading List beschäftigen wir uns damit, wie Neugierde in der Wissenschaft politisch ist und wie sie für die Wissenschaftskommunikation Standards setzt. Dazu beginnen wir mit dem Computerspiel Minecraft. Die Neugierde gefunden, kommen wir dann zu ein paar Good Reads, die den Zusammenhang von Neugierde, Wissenschaft und Politik, und zu guter Letzt’ Forscherdrang und Wissenschaftskommunikation thematisieren. Viel Spaß beim lesen!

Motivation ohne Ende: der große Hühnerbeschleuniger

235 Millionen Mal wurde Minecraft verkauft. Öfter als jedes andere Computerspiel auf dieser Welt. Ziel des Spiels ist es Rohstoffe in Würfelform zu kombinieren und daraus Gebäude und Ähnliches zu errichten. Die Spieler:innen bauen Steine und Holz ab, suchen Öl, Feuer und andere Rohstoffe. sie ergründen ein Referenzsystem, das jenem der realen Welt gar nicht unähnlich ist. Tatsächlich gibt es Chemiekurse für Minecraft und die reale Welt. Erlernen Sie Chemie durch das kombinieren von Rohstoffen in Minecraft. Warum nicht?

Der Tag dauert in Minecraft zwanzig Minuten. Die Sonne geht stets im Osten auf. Um die Spielphysik hinter der Kombination von Rohstoffen besser zu verstehen, gibt es von Nutzer:innen erstellte wissenschaftliche Experimente innerhalb von Minecraft. Fünf davon hat Rob Schwarz in einem Blogbeitrag auf Stranger Dimensions zusammengetragen. Der bedeutendste aller Versuche: der große Hühnerbeschleuniger. Ähnlich CERN in der echten Welt, soll der Hühnerbeschleuniger Auskunft über die kleinstmögliche Blockgröße in Minecraft geben.

Screenshot des großen Hühnerbeschleunigers in Minecraft. Zum Video geht’s hier: https://www.youtube.com/watch?v=E0XN00Wy7Rs

Neugierde und das Unerwartete

Was zum Wissen inspiriert, sind die Ergebnisse der Mühen eines Gedankengangs. Und um die Ergebnisse, sowie dahinter stehende Neugierde zu vermitteln, kommt der Kommunikation besonderer Stellenwert zu. Kommunikation ist nämlich die einzige Konstante in einer ansonsten auf Sand gebauten Wissenschaft, argumentiert Nigel Sanitt im Buch Culture, Curiosity and Communication in Scientific Discovery. Die Kommunikation, die Sanitt meint, ist anregend und limitierend zugleich. Denn wer seine Neugierde schlecht kommuniziert sieht sich mit Unverständnis und Verboten konfrontiert. Lassen Sie mich etwas ausholen.

Zur politischen Dimension von Neugierde, konnten Dan M. Kahan et al. in einer 2017 im Political Psychology publizierten Studie nachweisen, dass Informationsverarbeitung die von wissenschaftlicher Neugier getrieben ist, politisch motivierter Informationsverarbeitung entgegenwirkt. Anders gesagt: Menschen mit Forschungsdrang entfernen sich von politischen Narrativen und Stellen diese in Frage. Ihre Ergebnisse sind für die Politik nicht unmittelbar nutzbar. Außerdem: wissenschaftlich neugierige Menschen freuen sich über unerwartete Ergebnisse. Weniger gerne bestätigen Sie den Status Quo.

Nach erfolgreicher Kollision zweier Hühner im Minecraft’schen Teilchenbeschleuniger sind diese verschwunden: weder das für den Hühnertod übliche rohe Huhn oder Brathähnchen bleiben über. Zu sehen sind Federn. Wurden die Hühner zu Energie? War eines der beiden Hühner in seiner Rohstoffkombination ein Antihuhn? Mit dem Bekanntwerden der Resultate zum Experiment beginnt in der Community die Theoriebildung. Die Spielphysik von Minecraft wird in Frage gestellt. Wäre das in einem autoritären Minecraft möglich?

Neugierde in der Wissenschaft

Dass Neugierde in der Wissenschaft Wirkung hat, ist geklärt. Was Neugierde auslöst und wie wir sie nutzbar machen können, nicht. In der Online Ausgabe von Forbes, gibt Diane Hamilton eine Antwort auf die erste der beiden Fragen: Angst, Annahmen, Umwelt und Technik lösen Neugierde aus. Aufschlussreich ist auch ein Podcast der Wharton University mit Astrophysiker Mario Livio: “Curiosity has several kinds or flavors, and they are not driven by the same things.” Es gibt Neugierde für alles; inspiriert und gefüttert muss sie werden.

Neugierde im Kontext der Wissenschaftskommunikation
Neugierde ist unterschiedlich in Ihrer Form und Ausgeprägtheit. Manchmal wird sie eingeschränkt.

Die Neugierde von Menschen zu unterstützen oder zu unterdrücken ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn wir von Neugierde im Kontext von Wissenschaftskommunikation sprechen, dann bedeutet das empathisch zu kommunizieren, schreibt Elaine Burke. Warum, sollte irgendjemand an Deiner Forschung interessiert sein? Außerdem: setzen Sie, wie in einer früheren Ausgabe dieser Reading List ausgeführt, auf Relatability. Erlauben Sie es Ihrer Zielgruppe Bezug herzustellen.

Ich komme zum Schluss und zurück zu Minecraft. Um zu verstehen wie Neugierde in der Wissenschaft funktioniert, bleibt Minecraft ein Sammelsurium fertiggestellter, abgebrochener und nie begonnener Projekte. Vor zehn Jahren ist es mit dem großen Hühnerbeschleuniger gelungen, Menschen abzuholen und dazu zu inspirieren, die Welt von Minecraft zu hinterfragen. Unabhängig vom Thema, liegt wohl darin das Ziel, mindestens aber der Auftrag guter Wissenschaftskommunikation.

Das Rätsel über die kleinstmögliche Blockgröße in Minecraft wurde nicht gelöst.

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RL #015: Citizen Science – Eine Frage der Kommunikation

In dieser 15. Ausgabe der Oikoplus-Reading-List geht’s um Citizen Science in Theorie und Praxis. Wer hier weiterliest, stößt auf 10 Prinzipien für Citizen Science Projekte und praktische Tipps, sowie theoretische Reflexion über die Bürger:innen-Wissenschaft.

Citizen Science ist einer dieser Begriffe, die neu und innovativ erscheinen, obwohl sie eigentlich ein uraltes Konzept bezeichnen. Nämlich, dass Menschen, die keine Wissenschaftler:innen sind, Forschung betreiben. Das passiert seit jeher und ständig. Und: es gibt prominente historische Beispiele. Als z.B. Wilhelm Herschel im Jahr 1781 den Planeten Uranus entdeckte, war er eigentlich als Orchesterdirektor tätig. Astronomie betrieb er in seiner Freizeit.

Wenn der Begriff Citizen Science heute verwendet wird, oder einer seiner vielen Nachbarbegriffe (community science, crowd science, crowd-sourced science, civic science, volunteer science oder volunteers monitoring), dann liegt oft ein Begriffsverständnis zugrunde, dass sich an einer umfassenden Einführung von Alan Irving aus dem Jahr 1995 orientiert. Einen aktuelleren Überblick über den Citizen Science Begriff und die Potenziale der Bürger:innen-Wissenschaft liefern Rick Bonney et.al. (2009). Noch aktueller ist die umfangreiche Einführung ,Citizen Science – Innovation in Open Science, Society and Policy’ von Susanne Hecker et.al. (2018). Darin enthalten: 10 Prinzipien der Bürger:innen-Wissenschaft.

Frage nicht, was du für die Wissenschaft tun kannst, sondern, was die Wissenschaft für dich tun kann. Oder nicht?

Mit der wachsenden Anzahl an Citizen Science Projekten und wissenschaftlichen Amateur:innen, die sich daran beteiligen, stellen sich natürlich auch wissenschaftsphilosophische und erkenntnistheoretische Fragen. Paul Feyerabend hat sich in den 1970er Jahren mit Wegen, die Wissenschaft der Gesellschaft gegenüber zu öffnen, beschäftigt. Seine Schrift “Erkenntnis für freie Menschen” ist ein lesenswerter Einstieg in Feyerabends Werk. Eine Zusammenfassung samt Kommentar findet sich hier.

Um Feyerabends Verständnis von Citizen Science geht es auch in einem Text von Sarah M. Roe. Sie argumentiert: “Feyerabend teaches us that while the current citizen science movement is primarily focused on what the citizen can do for science and what the citizen can learn from science, the movement should also focus on what science can do for the citizen and what science can learn from the citizen.”

Mobile Apps und Open Source zur Unterstützung von Citizen Science

Doch wenn Sie das hier lesen, wollen sie sich vermutlich nicht bloß theoretisch mit Citizen Science auseinandersetzen, sondern vielleicht praktisch ein Projekt umsetzen. Falls Sie dafür bestimmte wissenschaftliche Proben oder Artefakte sammeln lassen wollen, eignet sich dafür eventuell eine App. Zum Beispiel Sapelli. Sapelli ist das Ergebnis eines britischen Forschungsprojekts und zu einem großen Open Source Projekt angewachsen, dass das kollektive Sammeln wissenschaftlicher Artefakte ermöglicht. Ganz einfach am Smartphone.

Nicht nur die Software zum Sammeln wissenschaftlicher Proben ist einfacher nutzbar und vernetzter geworden. Auch die Hardware ist erschwinglicher. Ein Artikel auf conversavation.com beschreibt, wie Smartphone-Kameras inzwischen dazu genutzt werden, Insektenarten zu dokumentieren. Ebenfalls auf conversation.com beschreibt der australische Ornithologe Hugh Possingham, weshalb er sich eine Gesellschaft wünscht, in der sich möglichst viele Menschen als Amateur-Wissenschaftler:innen engagieren sollen. Sein Argument: “If citizens immerse themselves in gathering knowledge and asking questions, they gain power – and are far more likely to engage in participatory democracy.”

Zurück zur Theorie…und zur Kommunikation von Citizen Science

Etwas kritischer sieht das der schwedische Linguist und Wissenstheoretiker Dick Kasperowski, zum Beispiel in einem Interview aus dem Jahr 2016. Er stellt über Citizen Science fest: “Citizens are only invited to do certain defined tasks like classifying or collecting data. You are not involved in all stages of the research process, even though that might be an ideal or rhetoric put forward. Citizens do very seldom formulate hypotheses or theories, for instance. No one is forced to take part in citizen science, but it has been criticised as a way of getting labour for free. I wonder what Marx would have said about it.” Doch nun wird es schon wieder recht theoretisch. Sorry.

Zum Ende deshalb noch der Hinweis auf eine sehr praktische Publikation. ,Communication in Citizen Science’ von Carina Veeckman und Sarah Talboom (2019) bietet eine weniger theoertische, aber praktische Anleitung zur Entwicklung einer erfolgreichen Kommunikationsstrategie in Citizen Science Projekten. Denn Kommunikation ist der zentrale Schlüssel zu erfolgreicher Bürger:innen-Beteiligung an Forschungsvorhaben.

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RL #014: Gut geführte und erfolgreiche Meetings

Teammeetings, Projektmeetings, Vereinsbesprechungen und Konferenzvorbereitung. Beeindruckend ist, wie unterschiedlich Meetings geführt und erlebt werden. Ganz ohne Fokus auf online Meetings, sammelt diese Reading List Publikationen und Ideen zum Thema.

Gut geführte Meetings

Gute Meetings sparen Zeit und sind produktiv. Sie schaffen ein angenehmes Klima und vermitteln Wertschätzung. Sie erreichen ein Ziel, einen Kompromiss oder eine Gesprächsgrundlage für folgende Zusammentreffen. Es gibt dafür ein paar Grundvoraussetzungen. Räume mit Fenstern gehören dazu. Eine Agenda, an der noch gedreht und geschraubt werden kann. Raum für Gespräche abseits der Agenda und, je nach Anlass, zumindest die Aussicht auf Verpflegung.

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Dann aber beginnt das Meeting. Auf seinem Streaming-Channel erklärt Max Castéra das 1969 von Bruce Tuckman erstellte Modell von Gruppendynamiken. Es zeigt die Phasen eines (beruflichen?) Zusammentreffens. In seinem Modell unterteilt Tuckman Meetings in Forming, Storming, Norming, Performing (Abstract zu Bruce Tuckman’s Originaltext). Die für mich bedeutendste Erkenntnis dabei war, wie wichtig Zeit für das Schaffen von Gruppendynamik ist, und die Tatsache, dass sich Ziel und Zeit relational verhalten. Und darauf kann man Einfluss nehmen.

Gruppendynamik in Meetings gestalten

Sollten Sie ein Meeting auf einer Alm oder Selbstversorgerhütte organisieren, finden Sie hier den Katalog für gruppendynamische Übungen des Österreichischen Jugendrotkreuz (deutsch). “Know your own Team! schreibt aber auch Mindtool in Improving group dynamics (engl.). Aufschlussreich ist auch die Liste zu dominanten Charakteren innerhalb Gruppen. Die umfassendste aller Listen zum leiten von Meetings, Seminaren und gruppendynamischen Prozessen aller Art, stammt von Kevin Yee et al. Er sammelt 289 frei zugängliche und nachvollziehbar kategorisierte Ideen für Interaktionen (in engl.).

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Tagesordnung und Zeitgefühl

Wir beginnen mit Arbeitsmeetings. Die perfekte Tagesordnung gibt es, glaub ich, nicht. Überlegungen zum Thema Tagesordnungen und Templates für Tagesordnungen gibt es zur genüge. Etwa hier und hier. Nehmen wir dann noch das aktive Gestalten der Gruppendynamik in die Tagesordnung mit auf, dann zeigt sich meist, dass das Programm ambitioniert ist. Es bietet sich an, die Produktivität zu steigern.

Sie könnten die Zeit zur Lösungsfindung minimieren. 1999 argumentierten Bluedorn et al. im Journal of Applied Psychology, dass Meetings bei denen Menschen stehen, 34% weniger Zeit benötigen um zu Lösungen kommen. 56 Gruppenkonstellationen wurden miteinander verglichen.

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Zur aktiven (Zeit-)Gestaltung gibt es noch andere Ideen. Zum Beispiel die Pomodoro-Technique (App Empfehlungen). Der Timer organisiert den eigenen, aber auch gruppendynamische Arbeitsprozesse in 25-minütigen Intervallen mit Pausen. In den Pausen oder zu Beginn einer längeren Einheit bieten sich Übungen zur Aktivierung von Körper und Geist an (z.B. der Active Meetings Guide der Emory University) (in engl.). Radikalere Ansätze finden sich bei den 16 Out of the Box Meeting Ideas von the Great Barn. Rausgehen, Kaffee trinken. Radikal?

Gute Meetings

Ich verlasse das Zusammentreffen mit einem guten Gefühl, weiß dass wir einen Schritt weitergekommen sind. Ich habe neue Ideen. Es gab kreative und produktive Phasen. Und Pausen.

Viele der Meetings, die ich besuchen durfte, waren gut organisiert und hervorragend geleitet: Rhetorik, strategische Empathie und paraverbale Aspekte in Meetings. Es kündigen sich weitere Reading Lists an.

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RL #013: Übers sich Kurzfassen

Ich hatte einmal einen Arbeitskollegen, der in seiner eMail-Signatur den Satz “Sent from Mobile Phone. Excuse brevity.” voreingestellt hatte. Ich weiß nicht, ob er diese Signatur wirklich nur am Handy nutzte, oder aus praktischen Gründen vielleicht auch auf seinen anderen Devices. Jedenfalls fand ich den Satz in der Signatur irgendwie gut, weil er dafür sorgte, dass ich mich über knappe Formulierungen in seinen Mails nicht wunderte und sie nicht als unhöflich empfand.

Das richtige Maß zu finden, ist in der Kommunikationsarbeit nicht leicht. Wann ist ein Video zu lang oder ein Text zu kurz? Gerät etwas zu lang, weil wirklich viel Detail drinsteckt, oder doch bloß, weil ausschweifend formuliert wurde? Wieviel Aufmerksamkeit darf man bei der Zielgruppen voraussetzen? Wieviel Ungeduld muss man unterstellen? Seit Jahren heißt es immer wieder, die Aufmerksamkeitsspanne durchschnittlicher Medienkonsumierender nehme dramatisch ab. Das deckt sich bei vielen mit den eigenen Erfahrungen beim Scrollen durch Nachrichten-Websites und Social-Media-Feeds.

Aufmerksamkeitsspanne: Der 8- Sekunden-Mythos

Zur Aufmerksamkeitsspanne geistert seit Jahren eine Zahl durch verschiedene Medien. Die durchschnittliche Aufmerksamkeitsspanne von Medienkonsumierenden sei auf acht Sekunden gesunken, heißt es häufig. Doch diese Info ist als belegbarer Fakt offenbar gar nicht haltbar. Wie es der Wert von acht Sekunden weltweit in Medienberichte geschafft hat, und weshalb er im Reich der Mythen besser aufgehoben ist, als in hübschen Präsentationen und Kommunikationsstrategien, beschreibt Natasha Keary in einem lesenswerten Artikel im Blog des Digital Content Publishing Unternehmens Turtl.   

280 statt 140 Zeichen: Hat sich Twitter verändert?

Kurze Nachrichten, die sich schnell erfassen lassen, haben natürlich trotzdem ihren festen Platz in der Online-Kommunikation. Twitter setzte von Anfang an auf Kürze. Erst im November 2017 wurde die maximale Zeichenlänge in Tweets von 140 auf 280 Zeichen erhöht. Der Diskurs auf Twitter sollte dadurch überlegter und höflicher werden. Professor Yphtach Lelkes hat an der Annenberg School for Communication an der University of Pennsylvania untersucht, wie sich Twitter durch den Schritt verändert hat.

Die ideale Textlänge

Die Frage nach der richtigen Textlänge stellt sich Menschen, die strategisch und gezielt kommunizieren wollen, ständig. Dabei geht es nicht bloß darum, die Lesegewohnheiten der Zielgruppe zu treffen, sondern auch um Search Engine Optimization (SEO) und die richtige Darstellung auf verschiedenen digitalen Plattformen und Geräten. Jürgen Zietlow stellt in einem Text für das Onlinemagazin magazinmedien.de eine Reihe wissenschaftlicher Erkenntnisse zur idealen Textlänge zusammen.

Wissenschaft auf Instagram

Nicht auf jedem Kommunikationskanal steht Text im Mittelpunkt. Auf Instagram zum Beispiel geht’s primär um visuelle Inhalte. Lassen sich komplexe Inhalte dort überhaupt kommunizieren? Lässt sich Wissenschaftskommunikation auf Instagram betreiben? Und sollen Wissenschaftler*innen ihre individuellen Accounts dafür nutzen? Um diese Frage und die dazugehörigen Genderaspekte hat sich schon im Jahr 2018 eine lebhafte Debatte entwickelt. Für Aufsehen sorgte damals ein opinion piece von Meghan Wright in Science. Ihre kritische Position damals: „Öffentlich zu dokumentieren, was für ein süßes Outfit ich trage und wie süß ich im Labor lächle, wird mir nicht helfen, eine erfüllende Karriere in einem Bereich aufzubauen, in dem Frauen weniger Führungspositionen innehaben, schlechter bezahlt werden und ständig unterschätzt werden.“ Eine Zusammenfassung der dadurch losgetretenen Debatte gibt’s auf dem allgemein sehr lesenswerten Science Communication Blog fromthelabbench.com.

Wissenschaft auf TikTok

Das war 2018. Natürlich ist die digitale Aufmerksamkeit seither weitergezogen. Zum Beispiel zu TikTok. Auch dort ist Kürze gefragt. Wie Wissenschaftskommunikation auf Tiktok aussehen kann, beschreibt Robert Lepenies vom Helmholtz Centre for Environmental
Research (UFZ) in einer Präsentation. Haben Sie es bis zum Ende dieses Texts geschafft, oder war er zu lang? Wenn sie noch lesen, erinnern Sie sich vielleicht an den eingangs erwähnten Ex-Kollegen. Inzwischen, so hat er mir versichert, lautet seine eMail-Signatur für von unterwegs versendete Mails „via mobile. pls excuse brevity.” Schließlich bieten auch sehr kurze Kommunikationsformate Spielraum zur Optimierung.

Aus unseren Projekten

Bei Oikoplus geht ein abwechslungsreiches und unterm Strich erfolgreiches Jahr 2021 zu Ende. In unseren Projekten hat sich trotz der Pandemie und vieler dadurch bedingter Änderungen viel getan. Updates zu unserem Archäologie-Tourismus-Projekt ArcheoDanube gibt es im aktuellen ArcheoDanube Projekt-Newsletter. Und im Horizon2020-Projekt EnergyMeasures, das einen Beitrag zur Reduzierung von Energiearmut in Europa liefert, gibt’s ebenfalls einen aktuellen EnergyMeasures Newsletter.

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RL #012: Newsletter: direkter Draht

Nachdem wir zuletzt vermehrt über Readings zu Metathemen wie Common Sense und Relatability in der Wissenschaftskommunikation berichtet haben, beschäftigt sich diese Ausgabe mit dem Newsletter. Anachronistisch? No Front, aber aus der Zeit gefallen sind nur die Newsletter in Schreibmaschinenschrift formatiert vom E-Mail-Programm. Vieles hat sich getan. Auch wenn Google Trend anzeigt, dass Newsletter als Suchbegriff den Plafond erreicht haben, gibt es gute Gründe den einst wichtigsten Kommunikationskanal wieder ernster zu nehmen.

Trendumkehr beim Newsletter

Newsletter liegen im Trend. Und das kommt nicht von ungefähr, weiß Catalina Schröders vom Journalist. Den neuen Hype gibt es, weil sich mit elektronischen Rundschreiben nun Geld verdienen lässt. Als Beispiel nennt Schröders den Newsletter Heated von Emily Atkin. Dort schreibt die unabhängige Autorin über Umweltthemen und erzielt jährlich 6-stellige Umsätze. Seit die Anbieter zum Erstellen von Newslettern den Autor*innen einfache Designs zur Verfügung stellen und den Zahlungsvorgang abwickeln, haben sich neue Geschäftsmodelle entwickelt.

Ein zweiter Grund warum immer mehr, vor allem unabhängige Autor*innen ihren eigenen Newsletter gründen betrifft die Kanäle für die viele von Ihnen in den vergangenen Jahren schreiben mussten und durften. Bobby Allyn führt in seinem Beitrag auf NPR aus, dass die Journalist*innen dieser Welt wieder weniger für Algorithmen optimiert, sondern für ihre Leser*innen schreiben wollen. Ob das mehr Spaß macht? Sicherlich! Ob es nachhaltig ist? Unter Umständen. Die Gefolgschaft muss groß genug sein.

Gefolgschaft in der Wissenschaft

An der Gefolgschaft würde es bei Deutschlands Chefvirologe Christian Drosten aktuell nicht scheitern. Verpackt in Weekly Digests könnte er seine Anhänger mit News aus der Charité ins Wochenende begleiten. Für jene, die keine 800.000 Follower haben, schlägt Jessica Lawlor auf dem Muck Rack Blog folgende Alternative vor: unabhängige Newsletter pitchen. Warum soll etwas, das für Firmen gilt, nicht auch für Forschungsprojekte gelten? Contributed Content ist hier das Stichwort. Und wo könnten Wissenschaftler*innen ihre Inhalte beisteuern? Zum Beispiel hier: Improbable Research, Sunday Brain Food, Important, not important, The Marginalian.

How to Newsletter?

Zwischen einem eigenen Newsletter und Contributed Content liegen Welten. In vielen Projektanträgen steht der projekteigene Newsletter im Antragstext. Newsletter-Anbieter publizieren jedenfalls regelmäßig ihre Hands-on Anleitungen. Die meisten bieten Video-Tutorials an. Relativ einfache und doch umfassende Einleitung in Textform gibt es hier und hier. Wir freuen uns von euch zu lesen!

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RL #011: Durch Wissenschaftskommunikation Commons kreieren

Vom Gemeingut in Theorie und Praxis, in Straßenverkehr und Impfstoffentwicklung – und im Film.

Diese Oikoplus Reading List kommt nicht wie gewohnt zur Monatsmitte, sondern mit etwas Verspätung. Denn das Team von Oikoplus war schwer beschäftigt. Im Rahmen von Sustainication – Verein für Wissenschaftskommunikation und Nachhaltig, haben wir ein Partnermeeting im Projekt ArcheoDanube im neuen Wiener Sonnwendviertel organisiert.

Da blieb wenig Zeit für Schreiben einer Reading List. Aber wo wir ein Paar Tage lang im angenehm verkehrsarmen Neubauviertel zu Gast waren, fiel uns einmal mehr auf, wie sonderbar unsere Städte den Raum, den sie bieten, verteilen.

Finden Sie es nicht auch immer wieder aufs Neue kurios, wieviel Platz dem Auto in unseren Städten eingeräumt wird? Natürlich könnte es sein, dass die Verkehrsplanerinnen und -Planer vergangenen Jahrzehnte gar nicht geahnt haben, dass es einmal so viele Autos geben würde, wie heute. Unmengen von Platz für den Autoverkehr vorgesehen, haben sie trotzdem. Das Auto prägt dadurch die Vorstellung, die Menschen vom städtischen Raum haben. Und das spiegelt sich kulturell zum Beispiel im Film. Mehr noch, meint der Historiker Janosch Steuwer: “Vor allem der Film bildet aus unterschiedlichen Gründen einen natürlichen Verbündeten bei der Verbreitung wirklichkeitsferner Bilder des Autoverkehrs”. In einem lesenswerten Artikel im schweizer Online-Magazin ,Geschichte der Gegenwart’ widmet er sich filmischen Bildern des Autoverkehrs.

Die Frage, wieviel öffentlichen Raum die Gesellschaft dem motorisierten Individualverkehr einräumen sollte, berührt immer wieder auch das Konzept der Commons, also der Gemeingüter. Wieviel Raum soll öffentliches Gemeingut sein, wieviel Raum soll privatisierbar sein, und was ist ein fairer Preis dafür? Dem angespannten Verhältnis von Commons und Kapitalismus widmet sich Thijs Lijster in einem Beitrag, der auf Eurozines zu lesen ist. Darin gibt er einen Überblick der Debatte zur Frage: Was sind commons, und was macht sie dazu?

An einem ganz konkreten Beispiel macht das Magazin Jacobin das Spannungsfeld zwischen Privatisierung und Vergesellschaftung deutlich, und zwar anhand der enormen Gewinne aus dem Covid-19-Impfstoffen. Da dieser Artikel leider nur in deutscher Sprache erschienen ist, für die englischen Leser*innen der Reading List hier ein Link zu einem englischen Artikel zum Thema aus der US-Ausgabe von Jacobin.

Die Frage danach, was wem “gehört” ist natürlich nicht bloß ein juristische von Besitz und Eigentum, sondern auch eine soziale Frage von Zugang, Beteiligung und Verfügbarkeit. Besonders deutlich wird das am Eingang erwähnten Beispiel des Verkehrsraums. Der Mosaik Blog hat zu den sozialen Aspekten des Straßenbaus einen Artikel publiziert, dessen Dichte an Zahlen und Fakten beeindruckend ist. Hier geht es ja schließlich um Wissenschaftskommunikation.

Und um den Bogen zur Wissenschaftskommunikation noch ein bisschen weiter zu spannen: Wissenschaft hat – wenn auch nicht immer – an sich selbst den Anspruch, gesellschaftliche commons zu produzieren. Das Commons-Institut, ein Netzwerk von Menschen aus Forschung, Lehre und Praxis hat sich dem Prinzip des Commonings bzw. des Nachdenkens darüber verschrieben. Auf seiner Website verlinkt das Institut immer wieder lesenswerte Artikel rund ums Thema commons.

Bis zur nächsten Reading List. Dann hoffentlich wieder pünktlich.

Thomas Stollenwerk

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RL #010: Relatability in der SciComm erzeugen

Kommunikation gelingt, wenn sie Verbindungen erzeugt.

Ich habe wenig Ahnung von Mechanik und Physik war nur für sehr kurze Zeit eines meiner liebsten Schulfächer. Ob ich das Fach mochte, hing immer ganz vom Lehrer ab, und davon, wie gut er es vermittelte. Neulich sah ich ein Youtube-Video, in dem es ausschließlich um Mechanik ging, und zwar um Differentialgetriebe. Und ich fand es großartig. 

Bei dem Video ist es, wie bei den Physiklehrern meiner Schulzeit: Die richtige Vermittlung kann Begeisterung für ein Thema schaffen. Wenn Begeisterung oder zumindest ein gesteigertes Interesse für ein Thema geweckt wird, entsteht eine Verbindung. Und um diese Verbindung, diese Relation, geht es in der Wissenschaftskommunikation. Ihr Ziel sollte sein, Verbindungen zur Wissenschaft herzustellen, also relatable zu kommunizieren. 

Jan Baetens nähert sich dem Konzept der Relatability in einem Beitrag zum Blog der Cultural Studies der Uni Leuven. Der Blog hat übrigens den schönen Claim “Blogging since 1425”. “Something is relatable when it can be retold”, schreibt Baetens, “but that is just the first and oldest meaning of the word. Today, relatable also defines works that someone (a reader, a listener, a spectator) can “relate to”. 

Jenem aktuellen Begriff der Relatability begegnet man meist dort, wo fiktionale Inhalte besprochen werden. Im feuilletonistischen Zusammenhang wurde der Begriff 2014 von Rebecca Mead im New Yorker diskutiert,  und zwar recht kritisch. Mead ist der Ansicht, man könne vom Kulturpublikum ruhig erwarten, dass es eine Verbindung zum präsentierten Inhalt selbst herstelle, und dass die Kritik, etwas sei nicht relatable genug, keine wirklich legitime Kritik an Inhalten sei.

Für die Kunst und die Kritik daran, mag das stimmen. Wissenschaftskommunikation, die für das Publikum nicht relatable ist, hat ihr Ziel verfehlt, könnte man argumentieren.

Wissenschaftskommunikation, die für das Publikum nicht relatable ist, schafft es nicht, die Relevanz eines Themas zu zeigen. Sie schafft es bei ihren Empfängerinnen und Empfängern nicht, das Gefühl auszulösen, vom Thema betroffen zu sein, damit in enger Relation zu stehen. Zum Glück bietet das Internet jede Menge Tipps rund ums Erzeugen von Relatability. Zum Beispiel von Joe Lazauskas auf der Plattform Contently.

Einen ähnlich pragmatischen und kommerziellen Zugang zu Relatability in der Kommunikation(sarbeit) hat ein Beitrag von Ton Dobbe auf seiner Website Value Inspiration. Dobbe arbeitet als “Growth consultant for Tech-Entrepreneurs”. Für ihn geht es beim Schaffen von relatable content um Menschlichkeit. “A good start is to be more human in how we communicate with our ideal target audience. Like we’re having a conversation over a cup of coffee.” Ist das der Ratschlag zum Plauderton? Und ist der in der Wissenschaftskommunikation wirklich hilfreich? Hier und da bestimmt. 

Auch Relatability ist vergänglich. Das findet zumindest Amil Niazi im Hinblick auf die US-Fernsehshow von Ellen DeGeneres in einem Opinion Piece in der New York Times. Die lange sehr erfolgreiche TV-Show wird demnächst eingestellt. Niazi sieht für die schwindene Beliebtheit der Show eine Ursache: “There’s no question, in the end, that Ms. DeGeneres has had an incredibly successful run as an effervescent daily TV presence for many Americans. But she also serves as a reminder that even the most relatable celebrities are still putting on an act, still trying to sell us on an image.” Die Moderatorin sei für ihr Publikum zwar sehr relatable gewesen. Doch ein paar öffentliche Skandale hätten dafür gesorgt, dass die Relationen Risse bekommen haben. In der Kommunikation geht es eben immer auch um Glaubwürdigkeit. 

Das Video über Differentialgetriebe vom Anfang dieses Texts hat mir auf simpelste Weise veranschaulicht, was ein Differentialgetriebe ist, wann es zum Einsatz kommt, wo es eingebaut wird, weshalb es wichtig ist und wie es funktioniert. Um was, wann, wo, weshalb und wie geht es in der Wissenschaftskommunikation ständig. Unterschiedlichen Zielgruppen die richtigen Antworten auf diese Frage zu liefern, darauf kommt es bei Relatability an. Die Texte, die in dieser Reading List verlinkt sind, haben das in meinem Fall geschafft. Sie waren für mich relatable. Ich hoffe, den Leserinnen und Lesern dieser Reading List geht es ähnlich. 

Thomas Stollenwerk