Kann Fiktionalisierung helfen, Wissenschaft zu kommunizieren? Um die Antwort, die wir hier liefern, abzukürzen: Ja, Fiktionalisierung kann der Wissenschaft dabei helfen, ihre Inhalte und Ergebnisse der Gesellschaft zu kommunizieren. Allerdings ist es nicht ganz einfach, Fiktion dazu sinnvoll einzusetzen.
Dabei hat die Fiktionalisierung eigentlich ihren festen Platz in der Wissenschaft. Als Beispiel, zum Beispiel. Das Höhlengleichnis, Schrödingers Katze, Newtons Apfel – alles Fiktionalisierungen wissenschaftlichen Denkens. Beispiele helfen zu verstehen – indem sie Abstraktes konkret machen und Theoretisches praktisch. Ein gut gewähltes Beispiel, das eine komplexe wissenschaftliche Theorie auflockert, hilft, das Verständnis zu erhöhen. Und es bestätigt die Lesenden in ihrem Textverständnis. Oder auch nicht. Jedenfalls helfen Beispiele, Wissenschaft verständlich zu machen. Und damit dienen sie der Wissenschaftskommunikation.
Wieso betreibt man noch einmal Wissenschaftskommunikation? Die Gründe, Wissenschaftskommunikation zu betreiben, hat der Neurowissenschaftler David M. Eagleman vor Jahren in einem Manifest zusammengetragen. Sechs Gründe identifiziert Eagleman. Die Öffentlichkeit durch spannende, wissenschaftsnahe Fiktion zu unterhalten, ist nicht darunter. Und trotzdem kann Fiktion helfen, ein breites Publikum für Wissenschaft zu begeistern.
Die Meeresbiologin Antje Boetius ist davon überzeugt. Im oft sehr hörenswerten (deutschsprachigen) Podcast „Das Interview” des Berliner Journalisten Philip Banse erklärte sie im Januar, welche Bedeutung fiktionale Unterhaltungsliteratur für die Kommunikation von Wissenschaft haben kann. Ganz konkret machte sie das für ihr Fachgebiet, die Gashydrate der Tiefsee, am Beispiel des Weltbestsellers „Der Schwarm“ des deutschen Autors Frank Schätzing von 2004 deutlich: „Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt jemals einen zweiten Bestseller gegeben hat, der die Menschen so mit den Prinzipien des Ozeans und der Gashydrate vertraut gemacht hat. Natürlich war darin viel Action und Romanhaftes. Aber Frank Schätzing, den ich gut kenne, hat unheimlich viel Arbeit in Recherche gesteckt und viele kleine Geschichten, die wahr sind, also Ozeanprozesse, zusammengeknüpft. Dabei entstand natürlich auch Unwahres, zum Beispiel, dass es intelligente, schleimige, blau leuchtende Einzeller gibt, die die Welt regieren und die Wale dazu bringen können, Menschen niederzumachen. Aber nichtsdestotrotz sind viele Einzelbeobachtungen echt. Was der Roman erzeugt hat, war ein breites Verständnis von Gashydraten im Ozean. Das hat ja sogar wirklich dazu geführt, dass Menschen vor der Tsunamiwelle damals in Südostasien gerettet wurden, weil sie den Roman gelesen hatten und wussten, wie es aussieht, wenn ein Tsunami kommt. Das ist einfach grandios. Ich würde als Wissenschaftlerin nie auf fiktive Literatur oder Filme herabblicken, sondern im Gegenteil: Uns Wissenschaftlern fällt es ja oft wirklich schwer, ein Breitenwissen zu erzeugen. So ein Abenteuerroman – wenn er sich Mühe gibt und die Fakten gut zusammenbaut – kann das erzeugen.”
Science Fiction
Wer sich der Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft, Wissenschat und Fiktion einmal grundlegender annähern möchte, dem sei ein Text von Jan Arendt Fuhse empfohlen, der sich mit Science Fiction als Kritische Theorie beschäftigt.
Ficta
Im Jahr 2006 hat der dänische Biologe, Soziokybernetiker und Cybersemiotiker Søren Brier ausführlich mit dem Einsatz von Fiktionalisierung in der populären Wissenschaftskommunikation als Antwort auf die sich verändernden Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation in den Massenmedien beschäftigt. Er untersuchte fiktionale Literatur mit wissenschaftlichem Kern anhand des Romans Jurassic Park von Michael Crichton und prägte gleich einen eigenen Begriff für populäre Literatur, in der es um Wissenschaft geht: Ficta. Der Begriff hat sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt.
In dieses Genre fallen könnte auch die Crime-Serie CSI in der es um die Arbeit von Tatort-Forensikern geht. Mit den Auswirkungen der Rezeption der Darstellung von Forensik in der Serie auf die Rezeption des wissenschaftlichen Fachs der Forensik beschäftigten sich die Psychologen Michael Saks und Nickolas Schweizer: Sie stellten fest: Populäre Fiktion über die forensische Wissenschaft beeinflusst die Erwartungen der Öffentlichkeit an die reale forensische Wissenschaft. Diesen Zusammenhang benannten sie als CSI-Effekt.
Science-in-Fiction
Nun sind Der Schwarm, Jurassic Park, CSI und viele andere Werke der klassischen Science Fiction keine Formate der Wissenschaftskommunikation, die sich der unterhaltsamen Fiktionalisierung bedienen, sondern unterhaltsame Fiktionen, die sich wissenschaftlicher Motive bedienen. Es gibt jedoch auch Fiktionen, die ganz gezielt auf die Vermittlung von Wissenschaft zielen. Carl Djerassi war hochdekorierter Chemiker, bevor er zum Romanautor wurde. Seinen Weg vom Wissenschaftler zum Romancier und den Unterschied zwischen Science Fiktion und Science-in-Fiction beschreibt er auf dem auf scienceblog.at: „Ich beschloß etwas zu unternehmen, um einem breiteren Publikum die Kultur der Naturwissenschaften nahezubringen, und zwar mit einem Genre dem ich kurze Zeit später den Namen Science-in-Fiction gab. Für mich fällt ein literarischer Text nur dann in dieses Genre, wenn die darin beschriebenen Vorgänge allesamt plausibel sind.
Für die Science-Fiction gelten diese Einschränkungen nicht. Damit will ich keinesfalls andeuten, daß die naturwissenschaftlichen Fantasieprodukte in der Science-Fiction unangebracht wären. Aber, wenn man die freie Erfindung wirklich dazu nutzen will, um einer wissenschaftlich unbeleckten Öffentlichkeit unbemerkt wissenschaftliche Fakten zu Bewußtsein zu bringen – eine Art Schmuggel, den ich intellektuell und gesellschaftlich für nützlich halte – dann ist es ausschlaggebend, die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Fakten exakt wiederzugeben.“
Um ganz bewusst erzeugte Begegnungen zwischen Wissenschaft und Fiktion bemüht sich auch das Projekt „Fiction meets Science“ von Volkswagen-Stiftung, Universität Bremen, Hanse-Wissenschaftskolleg und Universität Oldenburg. Und auch ein Blick ins Archiv des jährlichen Berliner Digitalfestivals re:publica lohnt sich, wenn es darum geht die Grenzen Zwischen Wissenschaft und Fiktion, zwischen verschiedenen Wahrnehmungsformen auszuloten. Im Jahr 2017 sprachen Joachim Haupt und Wenzel Mehnert von der Universität der Bildenden Künste Berlin über Business Science – Fictionalized. Der Vortrag ist bei Youtube zu sehen.