Immersive Experiences gehören zu den angesagten Werkzeugen der Wissenschaftskommunikation. Zu Recht?
Als ich zehn oder elf Jahre alt war besuchte ich mit der Schule eine Ausstellung über Straßenkinder im Globalen Süden. Wir hatten vorher im Deutschunterricht das Buch „Das Tor zum Garten der Zambranos“ von Gudrun Pausewang gelesen, in dem es um die Freundschaft zwischen einem Strassenjungen und dem Sohn einer reichen Familie geht, die kurzerhand ihre Rollen tauschen. Die Ausstellung ergänzte die Buchlektüre perfekt, denn sie griff viele der Themen auf. Die Ausstellung führte in lateinamerikanische, asiatische und afrikanische Kontexte, samt nachgebauter Strassenszenen und den jeweils passenden Artefakten. Und als Besucher erlebte man die Ausstellung in unbequemen improvisierten Latschen aus Autoreifen, wie Strassenkinder sie oft tragen.
Mir ist diese Ausstellung nach einem Vierteljahrhundert bis heute in Erinnerung. Aber weshalb? Meine Vermutung: Die Kombination von Buchlektüre, einer gut gemachten Ausstellung und der sehr haptischen Erfahrung der Autoreifen-Latschen war einprägsam genug, um bis heute erinnert zu werden. Eine immersive experience von white northern privilege, ganz undigital und analog. Heute, Jahrzehnte später, wird Immersion meist als Verschränkung analoger und digitaler Erlebnisse gedacht. Dafür tummeln sich zahlreiche spezialisierte Anbieter:innen, die auch in der Wissenschaftskommunikation aktiv sind. Denn für die Kommunikation von Forschung und Innovation bieten immersive experiences große Potenziale. Das SciComm-Portal impact.science sieht Virtual Reality Experiences deshalb auch auf Platz 1 der Top 10 Science Communication Trends des Jahres 2024Doch was versteht man eigentlich genau unter immersive experiences?
Immersion: Was?
Nützliche Definitionsarbeit leistet hier das Immersive Experience Institute, eine Art Think Tank aus Kalifornien. Wer sich eingehender mit der Frage beschäftigen möchte, was immersive Erlebnisse ausmacht und worin ihre Potenziale und Qualitäten liegen, findet im Journal of Network and Computer Applications peer-reviewte Antworten. Und wer sich für die praktische Umsetzungsebene interessiert, der kann zum Beispiel einen Blick auf das Kopenhagener Unternehmen Khora werfen, mit dem Oikoplus zuletzt an einer EU-Projekteinreichung zusammengearbeitet hat. Das kreative Team von Khora entwickelt Virtual Reality und Augmented Reality für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche. Die Projekte, an denen Khora mitwirkt, zeigen, wie Virtual Reality auch in EU-geförderteten Forschungs- und Innovationsprojekten eingesetzt und erforscht wird. Etwa im Horizon Europe Projekt XTREME (Mixed Reality Environment for Immersive Experience of Art and Culture), das im Januar 2024 gestartet ist. Darin werden in einem Konsortium von 14 Partnern Mixed-Reality (MR)-Lösungen erforscht und entwickelt, um Kunst zu erleben.
Natürlich sind viele Einsatzgebiete von Virtual Reality, Augmented Reality und immersiven Technologien ressourcenintensiv und aufwändig. Das führt dazu, dass ihr Einsatzgebiet oft kommerzieller Natur ist. Ein Beispiel dafür ist die rund um den Globus erfolgreiche Ausstellung „Van Gogh – The Immersive Experience”. Doch auch hierbei wird Wissen vermittelt und erlebbar gemacht. .
Was nützt die Immersion kommunikativ?
Aber führen immersive Erfahrungen mit der Unterstützung moderner VR und AR Technologie auch zu messbaren Kommunikationserfolgen? Nun, so ganz einfach lässt sich das nicht beantworten. Forschung dazu wird punktuell betrieben: Elizabeth Behm-Morawitz an der University of Missouri z.B. hat die Effektivität von VR als Tool der Wissenschaftskommunikation untersucht. Allerdings für einen sehr konkreten Anwendungsfall. In einem Artikel auf LinkedIn schreibt das britische Unternehmen Imagineerium, selbst ein Anbieter technologiegestützter immersiver Erlebnisse: „There has not been a great deal of research done on human psychology when exercised in an immersive experience, but some scientists and psychologists are beginning to look into it more as VR grows from strength to strength and immersion is starting to be used in learning experiences.”
Vermutlich ist es nicht einfach zu sagen, ob digitale, immersive Erlebnisse ein sinnvolles Kommunikationstool sind. Es is wie so oft: Es kommt ganz darauf an. Jedenfalls erweitern sie den Werkzeugkasten der Wissenschaftskommunikation. Virtual Reality und Augmented Reality sind sicher ein sinnvolles Werkzeug für so mache kommunikative Botschaft und so manche Zielgruppe. Aber eben nicht für jede, überall und jederzeit. Und dann kommt es auf den Zweck an. Die immersive Ausstellung, die ganz analog daher kam, und die ich in den späten 90ern besucht habe, ist dafür ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich an die Erfahrung der Ausstellung, ihr Thema, weniger aber an ganz konkrete Ausstellungsinhalte. Aber dafür, ist das vielleicht auch einfach zu lang her.