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#041: New Space: Wie die Raumfahrt sich wandelt und welche Rolle Europa dabei spielt

Die Raumfahrt steckt mitten in einem rasanten Wandel. Bei Oikoplus begleiten wir diesen Wandel. Und in Reading List #041 empfehlen wir Good Reads darüber, was sich im All gerade so abspielt.

Mit gleich zwei der EU-geförderten Projekte, an denen wir bei Oikoplus beteiligt sind, legt Europa wichtige Grundsteine für zukünftige Space Ecosystems: In unserem Projekt Domino-E geht es darum, europäische Earth Observation (EO) Satelliten möglich effizient zu nutzen, um Satellitenbilder der Erde möglichst schnell und preiswert bereitstellen zu können. Und in unserem Projekt EU-RISE geht es darum, In-space Servicing, Assembly and Manufacturing (ISAM) Technologien voranzubringen.

Das ,Space Age’ hat unsere kollektive und (pop)kulturelle Vorstellung von Raumfahrt stark geprägt. Wie es dazu kam, lässt sich z.B. im Far Out Magazine nachlesen. Sprichwörtlich vergleicht man große (multi)nationale Wissenschafts- und Technologieprojekte bis heute mit dem Mondlandungs-Programm der NASA.  

Das Apollo-Programm, das zwischen 1961 und 1972 zum Mond führte, ist nur eines der Beispiele für die Raumfahrt vergangener Tage. Von dieser Raumfahrt großer Programme und Missionen entwickelt sich die Raumfahrt hin zu modularen Systemen. Future Space Ecosystems werden bestimmt von vielen Akteuren jeder Größe und kommerziellen Anbietern für unterschiedliche Aufgaben von der Logistik, über die Kommunikation bis hin zur Entwicklung spezifischer Sensoren, Versuchsaufbauten und Spezialtechnologien, die im All angewendet werden. Wie dieser Wandel aus europäischer Perspektive ablaufen soll, das steht beispielsweise in der Technology Strategy der Europäischen Weltraumagentur (ESA). Große Systemintegratoren wie der Airbus-Konzern, spielen darin nur eine Rolle von vielen – wenn auch eine wichtige.

Eine neue Phase der Earth Observation

In den vergangenen Jahren ist eine Vielzahl neuer Geschäftsmodelle in der Raumfahrt entstanden. Projekte, die im Wesentlichen auf privaten Investitionen beruhen, werden oft als „New Space” bezeichnet. Unternehmen wie SpaceX, die z.B. vergleichsweise preiswerte Transportmöglichkeiten in Umlaufbahnen anbieten, setzen etablierte Akteure unter Druck. Hinzu kommen die nationalen Raumfahrtprogramme aufstrebender Nationen, die der Branche ebenfalls frischen Wind einhauchen. Auf diese Entwicklung reagiert Europa, und die Position Europas in der Raumfahrt zu behaupten, ist ein Anliegen, das die EU durch Horizon Europe Projekte wie Domino-E und EU-RISE unterstützt.

Für das Gebiet der Earth Observation hat die ESA sechs Trends gelistet, von denen der Umbruch, der in vollem Gange ist, geprägt wird. In den vergangenen dreißig Jahren, konnte Europa sich im internationalen EO-Wettbewerb gut behaupten. 1972 wurde der erste nicht-militärische amerikanische Erdbeobachtungs-Satellit namens Landsat1 in den Orbit geschickt. 1986 folgte mit dem französischen SPOT1 der erste europäische kommerzielle Beobachtungssatellit. Seither hat sich der europäische Systemintegrator Airbus hinter Maxar (USA) als zweitstärkster Anbieter auf diesem Markt behauptet. Das Domino-E Projekt, an dem Oikoplus als Teil eines multinationalen Konsortiums unter Leitung von Airbus mitwirkt, trägt zur Anpassung der europäischen EO-Technologien an das New Space Age bei, indem es die Wettbewerbsfähigkeit der in Europa betriebenen Systeme erhöht, also effizienter, zugänglicher und schneller macht. Nähere Informationen zum Projekt finden sich auf www.domino-e.eu.

Modulare Open-Source-Roboter: Die Werkstatt im Weltraum

Ein anderer Raumfahrt-Bereich, der in einer Phase grundlegender ökonomischer und technologischer Innovationen steckt, ist der Bereich des robotischen In-space Servicing, Assembly and Manufacturing (ISAM) Dabei geht es um das Durchführen mechanischer Arbeiten an Satelliten direkt auf der Umlaufbahn – on-orbit. In den letzten Jahren wurden auf diesem Feld zahlreiche Projekte, Technologien und einzelne Module entwickelt. Denn mechanische Arbeiten im Weltraum von Robotern durchführen lassen zu können, ist eine Schlüsseltechnologie der Raumfahrt der Zukunft. Schließlich werden zahlreiche Satelliten im Betrieb günstiger und nachhaltiger, wenn sie repariert und erweitert werden können – statt sie durch neue zu ersetzen.

Das Projekt EU-RISE, an dem Oikoplus beteiligt ist, leistet hier einen wichtigen Beitrag, indem es künftige Geschäftsmodelle für den Betrieb von ISAM-Dienstleistungen analysiert, und indem es bereits entwickelte europäische Komponenten von ISAM-Systemen miteinander verknüpft und in einem End-to-End Demonstrator testet. Die Open-Source-Strategie, die EU-RISE dabei verfolgt, soll dazu führen, dass standardisierte Schnittstellen und Systeme entstehen, die es möglichst vielen Akteuren unterschiedlicher Größe erlauben, zu Europas ISAM-Technologie beizutragen.

Europa ist natürlich nicht die einzige Weltregion, und die Europäische Union nicht der einzige staatliche Akteur, der hier seine Marktanteile sichern möchte. Auch in den USA werden groß angelegte ISAM-Strategien verfolgt. Die NASA bietet in ihrem ISAM State of Play einen guten Überblick, welche Technologien hier die Raumfahrt der Zukunft prägen könnten.  

Bei Oikoplus sind wir froh (und auch ein wenig stolz), einen Beitrag zur europäischen Raumfahrt leisten zu können, indem wir die Konsortien unserer Raumfahrtprojekte in ihrer Kommunikation und Dissemination unterstützen. Denn Raumfahrt liefert einen enormen Beitrag zu den Möglichkeiten, die sich uns allen im Alltag bieten, für Forschung in unterschiedlichsten Bereichen, und beim Verständnis unseres Universums. Wer sich einen Überblick darüber verschaffen möchte, in welchen Bereichen Europas Raumfahrt eine wichtige Rolle spielt, kann das bei der EUSPA, der European Union Agency for the Space Programme tun.  

Als EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 2019 den EU Green Deal verkündete, sprach sie von “Europe’s man on the moon moment”. Eine schöne Metapher. Und wie der EU Green Deal ist auch Europas Weg in die Zukunft der Raumfahrtindustrie eine große Aufgabe, an der viele im Kollektiv mitwirken. Wir auch.

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RL #040: Retractions – Falsches Wissen wieder einfangen

1998 veröffentlichte Andrew Wakefield eine Studie mit dem Titel Ileal-lymphoid-nodular hyperplasia, non-specific colitis, and pervasive developmental disorder in children. Im Artikel argumentieren Wakefield und seine Mitautor:innen, dass ein Zusammenhang zwischen der Impfung für Mumps, Masern und Röteln und Autismus bei Kindern bestehe. Jahre später wurde bekannt, dass Wakefield 480.000 GBP für die Ergebnisse der Studie erhalten und das verschwiegen hatte. Heute ist die Studie zurückgezogen und Wakefield kein Arzt mehr. Doch der Inhalt der “Studie”, die keine war, wirkt bis heute nach. Sie wird weiterhin von Impfgegner:innen zitiert und immer wieder aufs Neue wiederbelebt.

Paper zurücknehmen. Das geht?

Es gibt verschiedene Gründe, weshalb Artikel zurückgezogen werden. Das Zurückhalten und Verschleiern von Fördergeber:innen bzw. das Verschweigen von Interessenskonflikten ist einer davon. Der häufigste Grund sind ehrliche Fehler bei der Datenerhebung, Analyse oder Interpretation. Wie bei jeder anderen Arbeit, können die auch in der Forschung passieren. Hinzu kommen aber auch vorsätzliche Datenmanipulationen und Plagiate. KI könnte in Zukunft eine Rolle spielen. Den Antrag auf Rücknahme eines Artikels stellen Autor:innen, die Unzulänglichkeiten in der eigenen Arbeit bemerken (wie z.B. im hier im Fall von Shaawna Williams in The Scientist), Kolleg*innen, die Fehler bemerken und Herausgeber:innen, die im Rahmen öffentlicher Diskussionen auf Unzulänglichkeiten aufmerksam werden.

Bild von StockSnap auf Pixabay

10.000 zurückgezogene Publikationen

Dass Artikel zurückgenommen werden ist eine Entwicklung der letzten Jahre und Teil des Erfolgs der Retraction Watch Database. Im Jahr 2023 wurden mehr als 10,000 wissenschaftliche Artikel zurückgezogen; 10.000! Und es wird nicht besser. Etwa 60% der Rücknahmen, so zumindest Jeffrey Brainard und Jia You in einem Beitrag über den Mehrwert der strategischen Erfassung von Rücknahmen, sind eine Folge betrügerischer Absichten von Autor:innen. Ausmaße, die schon von Ivan Oransky und Adam Marcus in einem Artikel im The Guardian angedeutet wurden. Die Lichtblicke? Etwa 500 von über 30.000 Autor:innen waren 2023 für etwa ein Viertel aller Retractions verantwortlich. Es sind also wenige die viele Rücknahmen produzieren. Zugleich sind letzthin immer mehr Verlage auf den Zug mit aufgesprungen und suchen seitdem auch selbst nach fehlerhaften Publikationen. Für den Zeitraum zwischen 2009 und 2010 beispielsweise hat das Publishing House IEEE wie Alison McCook für Science.org berichtete, seine Artikel 2018 rückwirkend überprüft und über 7.000 Publikationen aus der eigenen Datenbank entfernt.

Rücknahmen: eine Frage der Glaubwürdigkeit

Mit der neuen Überprüfbarkeit und der Forderung an die Verlage, ihren Pflichten nachzukommen, ist auch der Karrieredruck rund um die Glaubwürdigkeit von Wissenschaftler:innen größer geworden. The Scientist veröffentlicht jährlich eine Liste der wichtigsten Retractions in den Naturwissenschaften (2021, 2022). Und auch die Community ist heute bewusster und hilfsbereiter — eine “stronger systems hypothesis” die zum Beispiel Danielle Fanelli vertritt. Vor allem Titel mit besonders spektakulären Ankündigungen mussten sich zuletzt einer Überprüfung stellen. Nach der Ankündigung von Ranga Dias et al., den ersten Supraleiter als Festkörper bei Raumtemperatur gefunden zu haben, wurde der Artikel zunächst im Preprint innerhalb weniger Monate zerpflückt und nach der Publikation auf Wunsch der Co-autor:innen 2023 vom Verlag zurückgezogen. Für Dias war es die insgesamt dritte Retraction und die erste, die auch medial hohe Wellen schlug: Science berichtete, die New York Times berichtete, das Wall Street Journal berichtete. Das nagt an der Glaubwürdigkeit der Einzelnen, stärkt aber die Wissenschaft und ihre Community.

Bild von Dominique auf Pixabay

What’s next?

Dass Fehler passieren ist normal. Dass Betrug vorkommt, ist nicht überraschend. Neben Ethik und Moral gibt es eben auch in der Wissenschaft Wettbewerb, Karriere und unlautere Mittel. Was nicht in Ordnung und gesellschaftlich höchst problematisch ist, sind die langen Wartezeiten und auch die mangelnde Information derer, die eine zurückgezogene Arbeit zitiert und die Fehler oder den Betrug nicht bemerkt haben. Sollen zurückgezogene Paper gelöscht oder der Nachwelt in gekennzeichneter Form zugänglich gemacht werden?

Verbesserungswürdig bleiben also die Prozesse rund um das Zurückziehen der Paper. Ivan Heibi und Silvio Peroni beispielsweise, setzen sich in ihrem in Digital Scholarship in the Humanities veröffentlichtem Artikel mit der Retraction Notice auseinander und stellen fest, dass es sowohl bei den Inhalten als auch bei der Angabe von Metadaten gravierende Unterschiede gibt. Außerdem, so die Autoren, sind Retraction Notes, weil negativ konnotiert, kaum auffindbar. Nicht nur an der Überprüfung der Artikel und ihrer Inhalte, sondern auch an der Vorgehensweise und Publizität empfiehlt es sich also weiter zu arbeiten. Ein Anspruch der nicht nur an Verlagshäuser und den Forschungsbetrieb, sondern an all jene gerichtet ist, die den Forschungsbetrieb bei der Veröffentlichung und Verbreitung von als gesichert angenommenen Wissen unterstützen.

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RL #039: Immersive Erlebnisse in der Wissenschaftskommunikation

Immersive Experiences gehören zu den angesagten Werkzeugen der Wissenschaftskommunikation. Zu Recht?

Als ich zehn oder elf Jahre alt war besuchte ich mit der Schule eine Ausstellung über Straßenkinder im Globalen Süden. Wir hatten vorher im Deutschunterricht das Buch „Das Tor zum Garten der Zambranos“ von Gudrun Pausewang gelesen, in dem es um die Freundschaft zwischen einem Strassenjungen und dem Sohn einer reichen Familie geht, die kurzerhand ihre Rollen tauschen. Die Ausstellung ergänzte die Buchlektüre perfekt, denn sie griff viele der Themen auf. Die Ausstellung führte in lateinamerikanische, asiatische und afrikanische Kontexte, samt nachgebauter Strassenszenen und den jeweils passenden Artefakten. Und als Besucher erlebte man die Ausstellung in unbequemen improvisierten Latschen aus Autoreifen, wie Strassenkinder sie oft tragen. 

Mir ist diese Ausstellung nach einem Vierteljahrhundert bis heute in Erinnerung. Aber weshalb? Meine Vermutung: Die Kombination von Buchlektüre, einer gut gemachten Ausstellung und der sehr haptischen Erfahrung der Autoreifen-Latschen war einprägsam genug, um bis heute erinnert zu werden. Eine immersive experience von white northern privilege, ganz undigital und analog. Heute, Jahrzehnte später, wird Immersion meist als Verschränkung analoger und digitaler Erlebnisse gedacht. Dafür tummeln sich zahlreiche spezialisierte Anbieter:innen, die auch in der Wissenschaftskommunikation aktiv sind. Denn für die Kommunikation von Forschung und Innovation bieten immersive experiences große Potenziale. Das SciComm-Portal impact.science sieht Virtual Reality Experiences deshalb auch auf Platz 1 der Top 10 Science Communication Trends des Jahres 2024Doch was versteht man eigentlich genau unter immersive experiences?

Immersion: Was? 

Nützliche Definitionsarbeit leistet hier das Immersive Experience Institute, eine Art Think Tank aus Kalifornien. Wer sich eingehender mit der Frage beschäftigen möchte, was immersive Erlebnisse ausmacht und worin ihre Potenziale und Qualitäten liegen, findet im Journal of Network and Computer Applications peer-reviewte Antworten. Und wer sich für die praktische Umsetzungsebene interessiert, der kann zum Beispiel einen Blick auf das Kopenhagener Unternehmen Khora werfen, mit dem Oikoplus zuletzt an einer EU-Projekteinreichung zusammengearbeitet hat. Das kreative Team von Khora entwickelt Virtual Reality und Augmented Reality für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche. Die Projekte, an denen Khora mitwirkt, zeigen, wie Virtual Reality auch in EU-geförderteten Forschungs- und Innovationsprojekten eingesetzt und erforscht wird. Etwa im Horizon Europe Projekt XTREME (Mixed Reality Environment for Immersive Experience of Art and Culture), das im Januar 2024 gestartet ist. Darin werden in einem Konsortium von 14 Partnern Mixed-Reality (MR)-Lösungen erforscht und entwickelt, um Kunst zu erleben.

Natürlich sind viele Einsatzgebiete von Virtual Reality, Augmented Reality und immersiven Technologien ressourcenintensiv und aufwändig. Das führt dazu, dass ihr Einsatzgebiet oft kommerzieller Natur ist. Ein Beispiel dafür ist die rund um den Globus erfolgreiche Ausstellung „Van Gogh – The Immersive Experience”. Doch auch hierbei wird Wissen vermittelt und erlebbar gemacht. . 

Was nützt die Immersion kommunikativ?

Aber führen immersive Erfahrungen mit der Unterstützung moderner VR und AR Technologie auch zu messbaren Kommunikationserfolgen? Nun, so ganz einfach lässt sich das nicht beantworten. Forschung dazu wird punktuell betrieben: Elizabeth Behm-Morawitz an der University of Missouri z.B. hat die Effektivität von VR als Tool der Wissenschaftskommunikation untersucht. Allerdings für einen sehr konkreten Anwendungsfall. In einem Artikel auf LinkedIn schreibt das britische Unternehmen Imagineerium, selbst ein Anbieter technologiegestützter immersiver Erlebnisse:  „There has not been a great deal of research done on human psychology when exercised in an immersive experience, but some scientists and psychologists are beginning to look into it more as VR grows from strength to strength and immersion is starting to be used in learning experiences.”

Vermutlich ist es nicht einfach zu sagen, ob digitale, immersive Erlebnisse ein sinnvolles Kommunikationstool sind. Es is wie so oft: Es kommt ganz darauf an. Jedenfalls erweitern sie den Werkzeugkasten der Wissenschaftskommunikation. Virtual Reality und Augmented Reality sind sicher ein sinnvolles Werkzeug für so mache kommunikative Botschaft und so manche Zielgruppe. Aber eben nicht für jede, überall und jederzeit. Und dann kommt es auf den Zweck an. Die immersive Ausstellung, die ganz analog daher kam, und die ich in den späten 90ern besucht habe, ist dafür ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich an die Erfahrung der Ausstellung, ihr Thema, weniger aber an ganz konkrete Ausstellungsinhalte. Aber dafür, ist das vielleicht auch einfach zu lang her. 

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RL #038: Denkfabriken – Kommunizieren mit politischem Impact

In dieser Reading List wollen wir uns ansehen, welche Kommunikationsmethoden Think Tanks anwenden, um Wissenschaft in die Politik zu tragen.

    Professionelle Anbieter:innen für Wissenschaftskommunikation – ob eingebettet in Forschungseinrichtungen, als Unternehmen wie Oikoplus, oder Think Tanks – haben zum Ziel, Forschungsergebnisse klar und transparent zu kommunizieren und Wissen für die öffentliche Debatte bereitzustellen. Das Zielpublikum dafür ist vielfältig. Eine relevante Zielgruppe, die immer wieder erklärter Adressat von Wissenschaftskommunikation ist, sind politische Entscheidungsträger:innen. In dieser Reading List wollen wir uns deshalb Kommunikationsmethoden widmen, die auf die Politik zielen, und dabei einen Blick auf Think Tanks, also wissenschaftlich-politische Denkfabriken, werfen.

    Laut Sarah Lewis von TechTarget schaffen Think Tanks einen Raum für Debatten, die Generierung von Ideen und Wege zur Wissensverbreitung. Für eine dezidiert politische Zielgruppe, geht es dabei nicht nur um die Bereitstellung von Informationen, sondern darum, mit Informationen die Grundlage für Entscheidungen zu bieten. Wie Clair Grant-Salmon betont, sind die Zeiten vorbei, in denen Think Tanks Standard-Maßnahmen für alle entwickeln konnten. Heutzutage müssen Think Tanks wissen, an wen sie sich wenden und was sie erreichen wollen.

    Policy-orientiere Denkfabriken erzeugen laut Annapoorna Ravichander, Leitlinien, die dazu beitragen, politische Ergebnisse in angemessener Weise zu erzielen. Sie unterscheiden sich von Prozessen und Maßnahmen. Policy ist breit angelegt und gibt eine bestimmte Richtung vor. Auch wenn die Wissenschaftskommunikation keine direkten politischen Ziele verfolgt, kann sie doch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung politischer Debatten, der Information von Entscheidungsträger:innen und der Beeinflussung der Entwicklung von Ideen spielen.

    Der wichtigste Weg für Wissenschaftskommunikatoren, politische Wirkung zu erzielen, ist die Bereitstellung von Expertise und Beratung für politische Entscheidungsträger:innen. SciComm-Anbieter können Forscher z.B. als Berater für Regierungsbehörden positionieren, und so einen Beitrag zum politischen Entscheidungsprozess leisten. Diese Methode birgt jedoch eine Herausforderung in sich: Laut Andrea Baertl Helguero müssen insbesondere Think Tanks, um durch Beratung Einfluss auf die Politik nehmen zu können, akademische Transparenz wahren und sicherstellen, dass ihre Forschung sorgfältig und zuverlässig ist. 

    Eine weitere wichtige Methode, um politischen Einfluss zu gewinnen, ist die Vernetzung. Eine klassische Methode, die von Think Tanks angewandt wird. Wie Alejandro Chaufen in einem Artikel für Forbes erklärt, ermöglicht die Vernetzung Think Tanks die Schaffung von Plattformen, auf denen Ideen ausgetauscht werden können und ein Konsens über politische Agenden gebildet werden kann. 

    Eine Formatfrage

    Ein etabliertes Format, um Forschungsergebnisse für die Politik aufzubereiten, sind Policy Briefs. Ein Policy Brief ist eine prägnante, gut recherchierte und informierte Zusammenfassung eines bestimmten Themas, der politischen Optionen zur Lösung dieses Problems und einiger Empfehlungen. Diese Kurzdarstellungen sind ein wichtiges Instrument, um einem nicht-wissenschaftlichen Publikum Forschungsergebnisse und darauf basierende Empfehlungen zu präsentieren, um Entscheidungsfindungen zu unterstützen. Policy Briefs ermöglichen es Wissenschaftskommunikator:innen, ihre Forschung und ihre Ergebnisse auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die die Dringlichkeit der Angelegenheit vermittelt und für Menschen mit unterschiedlichem Wissensstand zugänglich ist. Auch hier sollten die Absender:innen jedoch für Transparenz sorgen und bei der Darstellung von Problemen, Optionen oder Lösungsvorschlägen unabhängig und transparent bleiben.  

    Wenn politischer Impact das erklärte Ziel von Forschungsprojekte bzw. Wissenschaftskommunikation ist, ergibt sich daraus ein Bedarf an vorausschauenden Methoden und Prognosearbeit. Wissenschaftskommunikator:innen sollten politische Prozesse langfristig betrachten, um die Dynamik ihrer Themen und Ideen zu verstehen. Mark Halle vom International Institute for Sustainable Development erklärt, dass Think Tanks sich keine Vagheit leisten können. Sie müssen klare und zielgerichtete Ergebnisse erzielen, die eine Vision langfristiger, positiver Auswirkungen beinhalten.  

    Dieser Text dient hoffentlich als ein guter Einstieg in die Frage, was man von Denkfabriken lernen kann, wenn es darum geht, durch Wissenschaftskommunikation politischen Impact zu erzielen. Und damit führt er fast unweigerlich zu der Frage, wie man Impact von Forschung überhaupt misst. Damit haben wir uns zum Glück bereits in anderen Readings Lists beschäftigt, z.B. hier

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    RL #037: 10 Learnings aus der Wissenschaftskommunikation

    Was kann man von der Wissenschaftskommunikation lernen? Eine Reading List auf Grundlage der Erfahrungen der ersten fünf Jahre Oikoplus. 

    1. Relevante Zielgruppen können auch klein sein. 

    Den Erfolg von Kommunikation, misst man häufig in Reichweite. Auch in der Kommunikation für Forschungs- und Innovationsprojekte, ist Reichweite eine harte Währung. Doch oft sind es sehr spezifische und kleine Zielgruppen, die besonders relevant für die erfolgreiche Projektkommunikation sind. In unserem Projekt Domino-E zum Beispiel, ist eine der relevantesten Zielgruppen der überschaubarer Kreis an Menschen, die sich mit dem Programmieren von Satellitenmissionen zum Zweck der Erdbeobachtung beschäftigen. Diese Zielgruppe ist nicht nur klein, sondern es ist auch nicht einfach, die Kommunikationskanäle zu identifizieren, über die sie zu erreichen ist. Allerdings ist der Content für diese Zielgruppe spezifisch genug, um davon ausgehen zu können, dass die Zielgruppe den relevanten Content findet, solange er gut auffindbar ist. Also entschieden wir uns für YouTube als Kanal.  

    2. Simplifizieren muss nicht Banalisieren sein.

    Je genauer man in ein Thema hineinzoomt, desto größer wird es. Viele Themen und Fragestellungen wirken auf den ersten Blick überschaubar, und erst bei genauerer Betrachtung stellt sich ihre Komplexität, Tiefe und Vielschichtigkeit heraus. Trotzdem ist es nicht falsch, zunächst oberflächlich auf ein Thema zu blicken, und erst im zweiten Schritt tiefer einzusteigen. Für Expert:innen, die sich in einem bestimmten Themengebiet extrem gut auskennen, ist es oft schwierig, diesen oberflächlichen Blick zuzulassen. Zu sehr wissen sie um die Aspekte, die sich erst bei genauerer Betrachtung zeigen. Und deshalb fühlt sich der oberflächliche Blick für sie wie eine Vereinfachung an, und oft wie eine Banalisierung. Es ist wichtig, Vereinfachung zuzulassen. Korrekt allerdings, sollte sie sein. Unser Projekt REACT, das sich mit der Bekämpfung steriler Insektenarten beschäftigt, lässt sich wunderbar zusammenfassen: Insekten werden sterilisiert, damit sie sich in der Natur mit wildtypischen Insekten paaren, ohne das Nachkommen entstehen. Durch den mangelnden Nachwuchs schrumpft mittelfristig die Insektenpopulation. Und so wird die Landwirtschaft vor dem Schädling geschützt. Technisch steckt ein großer Aufwand hinter dieser Methodik. Trotzdem haben wir versucht, das Projekt in möglich simplen, verständlichen Worten zu erklären.

    Photo by Melanie Deziel on Unsplash

    3. Die „breite Öffentlichkeit” gibt es nicht. 

    Wissenschaftskommunikation hat das Ziel, Forschung für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese breite Öffentlichkeit findet sich deshalb als Zielgruppe in den Anträgen und Beschreibungen vieler Forschungs- und Innovationsprojekte. Nur: die breite Öffentlichkeit gibt es aus Perspektive der Kommunikation kaum. Die Gesamtheit der Öffentlichkeit anzusprechen ist verdammt schwierig, oder besser: es ist unmöglich. Durch das Entwickeln von Key Messages und Storytelling-Ansätzen findet automatisch immer auch eine Auswahl der Zielgruppen statt. Nicht jede:r findet alles interessant. Und wenn es gelingt, das Interesse möglichst unterschiedlicher Zielgruppen zu treffen, ist das schon ein toller Kommunikationserfolg. Um ein Verständnis dafür zu gewinnen, wie vielschichtig die Zielgruppen unserer Kommunikation in Forschungs- und Innovationsprojekten sein können, lassen wir unsere Projektpartner zum Beginn eines Projekts in interaktiven Workshops Personas entwickeln. Das sind fiktive Personen, anhand derer wir uns im folgenden Schritt gemeinsam überlegen, was zu tun ist, um sie durch unsere Projektkommunikation zu erreichen: mit welchen Botschaften, auf welchen Kanälen, wann, wieso, und mit welchem Ziel überhaupt? Dabei wird meist recht schnell klar: die breite Öffentlichkeit ist nur ein Hilfsbegriff, der darauf hindeutet, dass jedes einzelne Projekt viele unterschiedliche Zielgruppen ansprechen kann. 

    1. Unterschätze nie, wie spannend ein Thema sein kann. 

    Wie interessant ein Thema ist, erschließt sich manchmal nicht auf den ersten Blick. Kein Wunder: Man kann nicht jedes Thema als gleichermaßen spannend empfinden, und es kommt immer auch darauf an, wie ein Thema präsentiert wird. Nun könnte man sagen: Es ist die Aufgabe von Wissenschaftskommunikatoren wie Oikoplus, dafür zu sorgen, dass ein Thema das Interesse möglichst vieler Menschen weckt. Das stimmt auch. Doch auch für diejenigen, die Wissenschaftskommunikation betreiben, gilt, dass sie zunächst einmal ihr eigenes Interesse am Thema finden müssen. Das gelingt nicht immer auf Anhieb, und deshalb ist es Teil unserer Arbeit, aktiv nach den Zugängen zu einem beliebigen Thema zu suchen, in denen wir das Potential erkennen, ein Thema zielgruppenspezifisch zu erzählen. Wir zwingen uns deshalb zur Neugier und dazu, empathisch darüber nachdenken, worin der thematische Reiz für andere Zielgruppen bestehen könnte. Dabei fällt früher oder später der Groschen – und dann wird die Kommunikation gleich um ein Vielfaches einfacher. 

    5. Auch, wer die spannendste Forschung betreibt, redet nicht immer gern darüber.

    Als Journalist:in, muss man Interview-Partner:innen manchmal die Informationen, die man vermitteln möchte, sprichwörtlich aus der Nase ziehen. Man muss immer wieder nachfragen, weil das Interesse an der Informationsvermittlung eher einseitig ist. Wenn man nicht Journalismus betreibt, sondern Wissenschaftskommunikation im Auftrag der Wissenschaft, dann kann das auch passieren. Das kann überraschen, schließlich würde man meinen, dass die Informationsvermittlung sowohl im Interesse der Wissenschaftler:innen als auch der Öffentlichkeit ist, und man in der Rolle des Kommunikators lediglich die Vermittlungsarbeit zu leisten hat. In der Praxis mussten wir allerdings schon oft feststellen, dass Forschende nicht immer gern über ihre Arbeit sprechen, und man ihnen selbst grundlegende Erklärungen mühevoll entlocken muss. Für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung. Es gilt, Vertrauen aufzubauen, die eigene Kommunikationsarbeit möglichst transparent darzustellen und Umfelder zu schaffen, in denen Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit möglich werden. Das kann im Einzelfall der große Videodreh im Labor, mit künstlichem Licht und großem Kameraequipment sein, und im anderen Fall das persönliche one-on-one Gespräch. Jedenfalls erledigt sich Wissenschaftskommunikation nicht wie von selbst, selbst wenn die aufregendste Forschung kommuniziert wird. 

    Photo by Gabriel Valdez on Unsplash

    6. Qualität und Quantität. 

    In der Wissenschaft geht Qualität über Quantität. In der Kommunikation ist das manchmal nicht so klar. Wenn in den Anträgen für Forschungsprojekte die Ziele für die Projektkommunikation festgeschrieben werden, dann setzt man die entsprechenden KPIs gern hoch an. Schließlich soll ein Antrag hohe Ambitionen ausdrücken. Kommt es zur Bewilligung, stellt man dann fest, dass die Ziele mglw. zu hoch gesteckt waren, und dass sich Publikationen, Pressemitteilungen, Website-Artikel, Social-Media-Postings, Fotos, Videos und andere Inhalte der Projektkommunikation zwar machen lassen, dass es aber nicht leicht ist, die eigenen, hohen Qualitätsstandards zu halten. Für hochqualitative Inhalte braucht es Zeit. In unserer Videoreihe zum Beispiel, die wir für das REACT-Projekt umsetzen, versuchen wir, das Forschungsprojekt möglichst umfassend und gleichzeitig möglichst verständlich zu erklären. Das erste der Erklärvideos findet sich hier. Um solche Videos zu produzieren, ist ein langer und detailreicher Austausch mit den beteiligten Forschenden nötig. Deshalb können in einem Projekt wie REACT nicht Dutzende solcher Videos entstehen. Und das sollte sich auch in den Zielsetzungen zum Projektbeginn ausdrücken. 

    7. Geschwindigkeit ist nicht alles in der Kommunikation.

    Gut Ding, braucht eben Weile. Und diese Zeit muss man in der Wissenschaftskommunikation einplanen. In anderen Bereichen der Kommunikation, im Journalismus, in der PR, in der Werbung, ist Geschwindigkeit oft zentrales Qualitätsmerkmal. Und auch in der Wissenschaftskommunikation gibt es Momente, in denen es wichtig ist, schnell zu reagieren. Doch allgemein folgt die Wissenschaftskommunikation dem Tempo der Wissenschaft. Für die Pressearbeit bedeutet das zum Beispiel, dass man sich von der zeitlichen Logik des Medienbetriebs ein wenig lösen kann. Ein Forschungsthema verliert nicht einfach deshalb seine Relevanz, weil es nicht mehr tagesaktuell ist. Wenn z.B. die Publikation eines Papers schon einige Wochen zurückliegt, ist es nicht von vorne herein zwecklos, Journalist:innen auf das Paper aufmerksam zu machen. Das ist ein großer Unterschied von Wissenschaftskommunikation zu anderen Feldern der professionellen Kommunikationsarbeit.

    Photo by Bradley Pisney on Unsplash

    8. Man muss nicht komplett verstehen, was man kommuniziert.

    Oft kommt es uns bei Oikoplus zugute, dass wir uns den Forschungsprojekten, die wir kommunikativ begleiten, als Laien nähern. Dass wir keine Expert:innen für Stadtentwicklung, Archäologie, Pflanzenschutz, Satellitentechnologie oder die Energiewende sind, hat uns geholfen, in den Projekten, die wir auf diesen Gebieten umsetzen, die richtigen Fragen zu stellen. Denn dass wir die Methoden und Innovationen unserer Projekte nicht auf Anhieb verstehen, haben wir mit unseren Zielgruppen gemein. Das ist nicht als Hymne auf die Banalisierung zu verstehen. Es hilft natürlich, sich mit den Themen, die kommuniziert werden, zu beschäftigen und sich einzulesen. Aber man muss auch keine Angst davor haben, die eigene Expertise, nämlich die Kommunikationsexpertise, in Projekte einzubringen, von denen man zunächst einmal keine Ahnung hat. Keine Angst vor Rocket Science. Auch Raktenwissenschaftler:innen sind manchmal auf Kommunikations-Expert:innen angewiesen. 

    9. Think globally, act globally. 

    Um ein abstraktes Thema zugänglich zu machen, verbindet man es oft mit einem überschaubaren Aspekt aus dem Alltag von Menschen. Das ist im Journalismus eine verbreitete Methode. Um auf die Folgen des globalen Klimawandels aufmerksam zu machen, beschreibt man zum Beispiel Veränderungen des Ökosystems auf der lokalen Ebene vor Ort. Dadurch erzeugt man relatability. Darüber haben wir an dieser Stelle in Reading List #010 geschrieben. So weit, so sinnvoll. In unserer Kommunikation für Europa- und weltweite Forschungsprojekte, fehlt uns manchmal diese lokale oder alltägliche Ebene. Wir gestalten Kommunikation für internationale Zielgruppen, schließlich ist auch die Forschung international. Der Slogan “think globally, act locally” wird für uns deshalb oft zu “think globally, act globally”. Das heißt konkret: Wissenschaftskommunikation kann nicht immer auf die Bedürfnisse unterschiedlicher lokaler Zielgruppen eingehen. Daran scheitert man allein schon bei den Übersetzungen in zig verschiedene Sprachen, und an der Mobilität. Wissenschaftskommunikation spielt sich auf einer internationalen Ebene ab. Und als Wissenschaftskommunikator muss man häufig darauf vertrauen, dass die Themen, zu denen man kommuniziert, ihre Zielgruppen finden – nicht anders herum. 

    10. Neugier ist der beste Antrieb von Kommunikation.

    Wenn man uns bei Oikoplus fragt, was uns antreibt, dann fällt die Antwort inzwischen leicht. Es ist die Neugier. Im Deutschen leitet sich das Wort von der Gier nach Neuem ab. Damit haben wir uns kritisch in einer unserer letzten Reading Lists auseinandergesetzt. Wir verstehen Neugier als das ständige Interesse an neuen Erfahrungen, Erkenntnissen und Perspektiven. Dass wir in unserer Arbeit ständig dazulernen können, dass sie zu einem großen Teil sogar daraus besteht, begreifen wir als ein großes Privileg der Wissenschaftskommunikation. Wir machen das wirklich gerne. 

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    RL #028: Der technologische Fortschritt wird’s schon richten, oder nicht?

    In unseren Projekten bei Oikoplus kommunizieren wir Wissenschaft und Forschung. Dabei geht‘s um neue Technologien und häufig auch um das Versprechen, durch ihren Einsatz große Herausforderungen der Gegenwart, in den Griff zu bekommen. Technologie löst Probleme. Dafür wird sie schließlich entwickelt. Klar. Aber sollten wir uns als Gesellschaft wirklich auf Technologie verlassen, wenn es darum geht, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen? 

    Erst gestern wurde der neue Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlicht, der einmal mehr vor drastischen Klimawandel-Folgen gewarnt, die sich noch dazu verschärfen. Können Erfindungen der Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel sein? Treibhausgas-Emissionen sind schließlich selbst eine Folge industrialisierter Prozesse, die einmal als technologische Innovationen galten. 

    Vielleicht lenkt der optimistische Blick in die technologische Zukunft bloß davon ab, dass die Problemlösung längst in der Gegenwart stattfinden könnte? Und vielleicht besteht die wahre Problemlösung in die vielen Bereichen eher aus weniger, statt aus mehr Technologie? Steckt hinter Techno-optimism am Ende oft vor allem Greenwashing? Diesen Fragen geht der Techtonic Podcast der Financial Times in einer hörenswerten Folge aus dem November 2022 nach. 

    So stellen sich die Algorithmen des KI-Tools Midjourney Technologie vor, die dabei hilft, die Klimakrise zu lösen.

    Technikoptimismus, Überoptimismus und Macht 

    Ebenfalls im November 2022 hat sich Elizabeth Zhu dem Thema tech-optimism gewdimet, in einem opinion piece auf stanforddaily.com, einem Nachrichtenportal, das von Studierenden der Standord University betrieben wird. Die Universität im kalifornischen Palo Alto gilt als der Hochschul-Campus des Silicon Valley. Die Region ist nicht gerade dafür bekannt, Zukunftstechnologie ablehnend gegenüberzustehen. Zhu stellt fest, dass Unternehmen wie der Facebook-Mutterkonzern Meta selbst nach Skandalen wie Datenlecks oder der Verbreitung russischer Desinformationen als attraktive Arbeitgeber mit einer großen Vision menschlicher Vernetzung wahrgenommen werden. Dieser optimistischer Blick auf Technologie führt laut Zhu zu einem spezifischen Problem: Je mehr Menschen davon ausgehen, dass in Zukunft carbon capturing oder cloud brightening unser Klimaproblem lösen werden, desto stärker werden die systemischen Ursachen des Klimawandels wie der industrielle Abbau fossiler Brennstoffe übersehen.

    Werden technologische Lösungsansätze systematisch als Ablenkung von Problemursachen benutzt? Einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit dieser Frage bietet der Text Over-Optimism in Technology and the Promotion of the Powerful Man von Sofia Ribeiro und Viriato Soromenho-Marques, die an der Universität Lissabon forschen. Sie verwenden analog zum Greenwashing den Begriff des Technowashings. Dabei würde von politischen Akteuren bewusst alle gesellschaftliche Hoffnung in Richtung Technik und Naturwissenschaft gelenkt, um den Anschein zu vermitteln, dass bereits an Lösungen gearbeitet wird. Genau dieses Technowashing ermögliche es, die Dringlichkeit robuster, integrierter, ethischer, gerechter und multidisziplinärer Maßnahmen und Politiken aufzuschieben.

    Und noch eine mit Midjourney kreierte visuelle Tech-Utopie.

    Techno-solutionism vs. techno-criticism

    Einen weiteren hübschen Begriff, nämlich techno-solutionism, verwendet Harry Surden in einem Symposien-Beitrag im Yale Journal of Regulation. Surden stellt fest, der techno-soultionism tendiere dazu, Technologien wie die künstliche Intelligenz zu verherrlichen und sie unrealistisch als einfache Lösungen für die viel komplexeren, systemischen Probleme in der Gesellschaft darzustellen. Gleichzeitig neige aber die Technikkritik zu einer Überbetonung der negativen Aspekte von Technologien, indem sie sich entweder übermäßig auf potenzielle zukünftige Probleme konzentriert, die auftreten können – oder auch nicht, oder indem sie unverhältnismäßig stark die Grenzfälle hervorhebt, in denen eine Technologie problematisch ist, während sie andere Bereiche übersieht, in denen sie schrittweise signifikante gesellschaftliche Verbesserungen bringt.

    Bei Oikoplus bemühen wir uns in all unserer Projekt-Kommunikation, nicht so zu tun, als würden die Projekte abschließende Antworten auf drängende Fragen liefern. Denn jedes unserer Projekte ist stets nur einer von vielen Beiträgen zur wissenschaftlichen Bearbeitung großer Herausforderungen. Wir sind überzeugt, dass Technologie immer einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Aber am Ende sind es Menschen, die Technologien einsetzen. Deshalb liegen die großen Antworten im menschlichen Verhalten, und nicht in der Technologie selbst. Das gilt nicht erst in der Zukunft, sondern auch in der Gegenwart. 

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    RL #024: Aus unserer Projektarbeit: Gamification im Archäologie-Tourismus

    In dieser Oikoplus Reading List geht es ausnahmsweise nicht um eine bestimmte Fragestellung aus dem Bereich der Science Communication and Research Dissemination. In dieser Oikoplus Reading List geht  um eines unserer eigenen Projekte.

    In den vergangenen zwei Jahren haben wir durch die Beteiligung unseres Vereins Sustainication e.V. am Interreg-Projekt ArcheoDanube viel über Archäologie gelernt. Und über die spannende Herausforderung, Archäologie für die Entwicklung nachhaltiger Tourismuskonzepte zu nutzen. 

    Nach zweieinhalb intensiven Projektjahren geht ArcheoDanube Ende 2022 zu Ende. Mitte November fand die Closing Conference in der slowenischen Stadt Ptuj statt. Die unterschiedlichen am Projekt beteiligten Institutionen aus elf Ländern des Donauraums präsentierten die Ergebnisse des Projekts. Dazu zählen nicht nur  Guidelines zur Entwicklung archäologischer Parks als Vehikel für nachhaltigen Archäologie-Tourismus, sondern auch konkrete lokale Pilot Actions, in denen das Konzept der Archäologische Parks erprobt wird.

    Und was hat ArcheoDanube nun mit Wissenschaftskommunination und Oikoplus zu tun? Jede Menge. Denn die Einbettung von Archäologie in Tourismuskonzepte erfordert die Kommmunikation von Forschungsergebnissen – angepasst an einen spezifischen Ort und spezifische Zielgruppen. Das Team von Sustainication/Oikoplus konnte sich nicht nur beim Verfassen eines e-Handbook über das Management archäologischer Stätten ins Projekt einbringen, sondern auch in drei Think Tank Workshops, in denen Local Action Plans in Szombathely (HU), Pilsen (CZ) und X (HR) evaluiert wurden. 

    Digitale Tools, die helfen ArcheoTourism zum innovativen Erlebnis zu machen

    Und: Wir haben eine Mobile App entwickelt. Die App ArcheoTales für Android und iOS, die gemeinsam mit dem Grazer Unternehmen Softwaregärtner entwickelt wurde, erlaubt es, Besucher von archäologischen Stätten und Museen auf digitale Scavenger Hunts (Schnitzeljagden) zu schicken. Damit können Anbieter von Kulturtourismus und Betreiber von Kulturerbestätten unterschiedlichen Zielgruppen didaktisch und spielerisch aufbereitete Inhalte anbieten. Und die Besucher können die Ausstellung in Form eines Rätselspiels in ihrem individuellen, eigenen Tempo erleben. Dabei kommunizieren die Besucher via Mobile App mit fiktiven Charactern in einem Massenger-Interface. 

    Ein weiteres digitales Tool, das im Projekt ArcheoDanube entwickelt wurde, ist Yesterday-Today-Tomorrow. Es richtet sich speziell an Städte und Gemeinden, die über Kulturerbe- und Archäologiestätten verfügen, und eine Hilfestellung bei der Erstellung eines touristischen Konzepts in Form eines Archeoparks suchen. 

    Wir haben im Projekt ArcheoTales ungemein viel über Archäologie und die Kulturgeschichte des Donauraums lernen dürfen, wunderbare Orte mit kulturtouristischen Schätzen besucht und fantastische Kolleginnen und Kollegen aus 14 Ländern kennengelernt. Dabei haben wir neue Freundschaften geschlossen und in einem für uns ganz neuen Bereich erfahren, was gute Wissenschaftskommunikation leisten kann – und wieviel Spaß es macht, sie zu betreiben.  

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    RL #019: Warum Kommunikation ein wesentlicher Bestandteil wissenschaftlichen Arbeit sein sollte

    Wir von Oikoplus bieten Wissenschaftskommunikation an. Aber warum eigentlich? Was war noch einmal der Zweck der Kommunikation von Forschungsergebnissen an ein breites Publikum? Gibt es für Forschung nicht ein Fachpublikum? Reicht es nicht, wenn jene über Forschung lesen und reden, die sich damit auskennen? Naja. Es gibt triftige Gründe für einen breiten Ansatz in der wissenschaftlichen Öffentlichkeitsarbeit. In dieser Reading List finden sich einige davon.

    Im Deutschen gibt es den Ausdruck „Auf den Boden der Tatsachen zurückkehren”. Die Metapher wird gern verwendetet, um dazu aufzufordern, eine Diskussion wieder an der geteilten Faktenbasis zu kallibrieren, wenn sie ausgeufert ist, und sich Unwahrheiten oder Lügen eingeschlichen haben. Wissen über Tatsachen und Fakten sind das Ergebnis von Forschung und Wissenschaft. Es geht dabei also genau um den Boden aus der Metapher. Und auf diesem Boden sind eben nicht nur Expertinnen und Experten unterwegs, sondern wir alle – auch wenn wir alle ihn gelegentlich verlassen. Manche seltener, manche häufiger, ob bewusst oder unbewusst.

    Für eine integrativere Wissenschaft

    Mónica Feliú-Mójer hat im Jahr 2015 für den Blog von Scientific American zusammengefasst, weshalb Kommunikation für bessere Wissenschaft sorgt. Wenn Wissenschaftler in der Lage sind, über ihre Fachkolleg_innen hinaus effektiv mit einem breiteren, nicht-wissenschaftlichen Publikum zu kommunizieren, stärke das die Unterstützung für die Wissenschaft und fördere das Verständnis für ihre breite Bedeutung für die Gesellschaft und rege zu einer fundierteren Entscheidungsfindung auf allen Ebenen an, von der Regierung über die Gemeinden bis hin zum Einzelnen. Kommunikation könne die Wissenschaft außerdem auch für Zielgruppen zugänglich machen, die traditionell vom wissenschaftlichen Prozess ausgeschlossen sind. Sie könne somit dazu beitragen, dass die Wissenschaft diverser und integrativer werde.

    Für das Allgemeinwohl

    In Texten über Wissenschaftskommunikation liest man immer wieder, die Forschenden dürften den Kontakt zur Gesellschaft nicht verlieren. Natürlich nicht. Wieso sollte Forschung außerhalb der Gesellschaft stehen? Im Idealfall soll die Forschung schließlich der Gesellschaft dienen. Dieses Verhältnis zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft ist jedoch keineswegs selbstverständlich. Toss Gascoigne und Joan Leach, beide Professoren am Centre for the Public Awareness of Science der Australian National University, argumentieren in einem Beitrag für The Conversation, das 20. Jahrhundert könne historisch als ein langes Plädoyer für die Wissenschaftskommunikation im Interesse des Gemeinwohls gelesen werden.

    Auch Forschende lesen nicht nur Research Papers

    Einen kurzen Ausflug in die Geschichte der Wissenschaftskommunikation, der sogar bis ins 19. Jahrhundert reicht, unternimmt Dmitry Dorofeev in einem Beitrag über die Bedeutung laienverständlicher Wissenschaftskommunikation auf dem Life-Sciences-Portal news-medical.net 

    Danach habe ein Redakteur der Wiener Tageszeitung Neue Freie Presse im Jahr 1895 zufällig von der Entdeckung der Röntgenstrahlen durch Wilhelm Röntgen erfahren, die Bedeutung glücklicherweise erkannt und einen Artikel auf der Titelseite seiner Zeitung untergebracht. Dieser Artikel sei daraufhin vom London Chronical und der New York Sun aufgegriffen worden, und einige Tage später auch von der New York Times. Die schnelle Verbreitung der News über die für die Medizin revolutionäre, bildgebenden Methode in Massenmedien habe dazu beigetragen, dass die Röntgentechnologie schon im folgenden Jahr in über 1000 wissenschaftlichen Artikeln erwähnt worden sei, so Dorofeev. Schließlich – das gilt bis heute – informieren sich auch Forschende nicht nur in Fachpublikationen.

    Werbung oder PR?

    Forschung und Wissenschaft so zu kommunizieren, dass möglichst viele Menschen daran teilhaben können, damit das Gemeinwohl davon profitiert und damit auch die Forschenden selbst sich leichter über die Arbeit ihrer Kolleginnen und Kollegen informieren können, das sind edle Gründe, Wissenschaftskommunikation zu betreiben. Daneben dient die Wissenschaftskommunikation zunehmend auch der Werbung und PR für einzelne Forschungseinrichtungen und Wissenschaftsstandorte. Empirisch haben sich Peter Weingart und Marina Joubert an der Stellenbosch University in Südafrika 2019 mit den Motivationen, Wissenschaftskommunikation zu betreiben, beschäftigt. Auf Grundlage ihrer Erkenntnisse über die zunehmend aktiv betriebene Wissenschaftskommunikation kommen sie zu dem Schluss, dass eine Unterscheidung zwischen pädagogischen und werblichen Formen von Wissenschaftskommunikation dringend geboten sei. Nur so kann die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft erhalten bleiben.

    Es gibt als viele sehr gute Gründe, Wissenschaft und die Ergebnisse von Forschung so zu kommunizieren, dass sie für möglichst viele Menschen verständlich und interessant sind. Der wichtigste aller Gründe bleibt dabei, dass jener anfangs zitierte Boden der Tatsachen bestellt gehört. Denn auf ihm erwachsen Neugier, Erkenntnis und Innovation. 

    In unserem Projekt ArcheoDanube versuchen wir deshalb, Archäologie touristisch nachhaltig zu erschließen und die Ergebnisse von Forschung über die Geschichte des Donauraums möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Gerade ist der vierte Newsletter des Interreg-Projekts erschienen.

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    RL #017: Ethik in der Wissenschaftskommunikation

    In dieser eher kurzen Reading List, widmen wir uns der Frage, ob es ethische Standards gibt, die Wissenschaftskommunikation einhalten sollte. Eine simple Antwort lautet: Ja, natürlich. Bei genauerer Betrachtung ist die Fragestellung aber gar nicht so banal. Denn Debatten um ethische Fragen sind sowohl in der Wissenschaft, als auch in der Kommunikationsbranche allgegenwärtig. Für die Wissenschaft gelten nicht die Gesetze der Kommunikationsbranche – und für die Kommunikationsbranche gelten keine wissenschaftlichen Standards. In der Praxis wurde diese gar nicht so kleine Differenz zu Beginn der Corona-Pandemie deutlich, nämlich als die Regierung des deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen eine Studie in Auftrag gab und diese dann auch noch von einer professionellen PR-Agentur maximal ausgeschlachtet wurde, wobei der PR-Agentur möglicherweise auch die Interpretation der wissenschaftlichen Ergebnisse überlassen wurde. Den Fall fasst ein Artikel von KOM – Magazin für Kommunikation zusammen.

    Die Gute Wissenschaftliche Praxis

    Erst durch die hohen Standards, die sie bei der Produktion von Wissen an sich selbstanan anlegt, wird die Wissenschaft zur Wissenschaft. Zu diesen Standards wissenschaftlichen Arbeitens zählen neben der Transparenz und der Reproduzierbarkeit ihrer Methoden auch Aspekte wie Ehrlichkeit, Verantwortlichkeit und Verlässlichkeit. In Summe führt die Einhaltung der wissenschaftlichen Standards zur Guten Wissenschaftlichen Praxis. Wissenschaftliche Standards sind die Antwort auf die Frage, wie Forschung betrieben werden muss, um als Wissenschaft anerkannt zu werden. Sie sorgen für die Unterscheidbarkeit wissenschaftlichen Wissens von Erfahrungswissen, Anecdotal Knowledge, bloßer Überlieferung oder religiöser Erkenntnis. Sie sorgen für wissenschaftliche Integrität. Eine umfängliche Definition dieser Standards findet sich im European Code of Conduct for Research Integrity.

    Ständiges Self-Assessment

    Die Gute Wissenschaftliche Praxis allein reicht jedoch nicht unbedingt aus, um auch ethischen Standards gerecht zu werden. Die Gute Wissenschaftliche Praxis beantwortet die Frage, wie Forschung zu betreiben ist, um integer zu sein. Ethische Standards berühren darüber hinaus die Frage, was in der Forschung zu tun bzw. zu unterlassen ist. Dabei geht es um die Rolle menschlicher und tierischer Versuchsobjekte in der Forschung, um den Umgang mit persönlichen Daten, von Fotos bis zum individuellen menschlichen Genom. Viele Forschungseinrichtungen setzen bei der Frage nach der Ethik in der Wissenschaft auf die dauernde Selbstüberprüfung der Forschenden. Für die Umsetzung solcher Self-Assessments in EU-geförderten Projekt bietet die Europäische Kommission Guidelines.

    Die Gute Wissens-PR

    Das alles betrifft die Wissenschaft. Aber wie steht es um die Ethik in der Wissenschaftskommunikation? Gibt es auch Standards und Kriterien für gute Science-PR und Dissemination, oder gar für die ethisch korrekte SciComm? Um es vorweg zu nehmen: Ja, es gibt solche Standards, z.B. aufgestellt 2016 von Wissenschaft im Dialog und dem deutschen Bundesverband Hochschulkommunikation. Sie finde sich hier.

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    RL #015: Citizen Science – Eine Frage der Kommunikation

    In dieser 15. Ausgabe der Oikoplus-Reading-List geht’s um Citizen Science in Theorie und Praxis. Wer hier weiterliest, stößt auf 10 Prinzipien für Citizen Science Projekte und praktische Tipps, sowie theoretische Reflexion über die Bürger:innen-Wissenschaft.

    Citizen Science ist einer dieser Begriffe, die neu und innovativ erscheinen, obwohl sie eigentlich ein uraltes Konzept bezeichnen. Nämlich, dass Menschen, die keine Wissenschaftler:innen sind, Forschung betreiben. Das passiert seit jeher und ständig. Und: es gibt prominente historische Beispiele. Als z.B. Wilhelm Herschel im Jahr 1781 den Planeten Uranus entdeckte, war er eigentlich als Orchesterdirektor tätig. Astronomie betrieb er in seiner Freizeit.

    Wenn der Begriff Citizen Science heute verwendet wird, oder einer seiner vielen Nachbarbegriffe (community science, crowd science, crowd-sourced science, civic science, volunteer science oder volunteers monitoring), dann liegt oft ein Begriffsverständnis zugrunde, dass sich an einer umfassenden Einführung von Alan Irving aus dem Jahr 1995 orientiert. Einen aktuelleren Überblick über den Citizen Science Begriff und die Potenziale der Bürger:innen-Wissenschaft liefern Rick Bonney et.al. (2009). Noch aktueller ist die umfangreiche Einführung ,Citizen Science – Innovation in Open Science, Society and Policy’ von Susanne Hecker et.al. (2018). Darin enthalten: 10 Prinzipien der Bürger:innen-Wissenschaft.

    Frage nicht, was du für die Wissenschaft tun kannst, sondern, was die Wissenschaft für dich tun kann. Oder nicht?

    Mit der wachsenden Anzahl an Citizen Science Projekten und wissenschaftlichen Amateur:innen, die sich daran beteiligen, stellen sich natürlich auch wissenschaftsphilosophische und erkenntnistheoretische Fragen. Paul Feyerabend hat sich in den 1970er Jahren mit Wegen, die Wissenschaft der Gesellschaft gegenüber zu öffnen, beschäftigt. Seine Schrift “Erkenntnis für freie Menschen” ist ein lesenswerter Einstieg in Feyerabends Werk. Eine Zusammenfassung samt Kommentar findet sich hier.

    Um Feyerabends Verständnis von Citizen Science geht es auch in einem Text von Sarah M. Roe. Sie argumentiert: “Feyerabend teaches us that while the current citizen science movement is primarily focused on what the citizen can do for science and what the citizen can learn from science, the movement should also focus on what science can do for the citizen and what science can learn from the citizen.”

    Mobile Apps und Open Source zur Unterstützung von Citizen Science

    Doch wenn Sie das hier lesen, wollen sie sich vermutlich nicht bloß theoretisch mit Citizen Science auseinandersetzen, sondern vielleicht praktisch ein Projekt umsetzen. Falls Sie dafür bestimmte wissenschaftliche Proben oder Artefakte sammeln lassen wollen, eignet sich dafür eventuell eine App. Zum Beispiel Sapelli. Sapelli ist das Ergebnis eines britischen Forschungsprojekts und zu einem großen Open Source Projekt angewachsen, dass das kollektive Sammeln wissenschaftlicher Artefakte ermöglicht. Ganz einfach am Smartphone.

    Nicht nur die Software zum Sammeln wissenschaftlicher Proben ist einfacher nutzbar und vernetzter geworden. Auch die Hardware ist erschwinglicher. Ein Artikel auf conversavation.com beschreibt, wie Smartphone-Kameras inzwischen dazu genutzt werden, Insektenarten zu dokumentieren. Ebenfalls auf conversation.com beschreibt der australische Ornithologe Hugh Possingham, weshalb er sich eine Gesellschaft wünscht, in der sich möglichst viele Menschen als Amateur-Wissenschaftler:innen engagieren sollen. Sein Argument: “If citizens immerse themselves in gathering knowledge and asking questions, they gain power – and are far more likely to engage in participatory democracy.”

    Zurück zur Theorie…und zur Kommunikation von Citizen Science

    Etwas kritischer sieht das der schwedische Linguist und Wissenstheoretiker Dick Kasperowski, zum Beispiel in einem Interview aus dem Jahr 2016. Er stellt über Citizen Science fest: “Citizens are only invited to do certain defined tasks like classifying or collecting data. You are not involved in all stages of the research process, even though that might be an ideal or rhetoric put forward. Citizens do very seldom formulate hypotheses or theories, for instance. No one is forced to take part in citizen science, but it has been criticised as a way of getting labour for free. I wonder what Marx would have said about it.” Doch nun wird es schon wieder recht theoretisch. Sorry.

    Zum Ende deshalb noch der Hinweis auf eine sehr praktische Publikation. ,Communication in Citizen Science’ von Carina Veeckman und Sarah Talboom (2019) bietet eine weniger theoertische, aber praktische Anleitung zur Entwicklung einer erfolgreichen Kommunikationsstrategie in Citizen Science Projekten. Denn Kommunikation ist der zentrale Schlüssel zu erfolgreicher Bürger:innen-Beteiligung an Forschungsvorhaben.