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RL #035: Über Innovation und Exnovation

In der letzten Oikoplus Reading List hat Michael Anranter sich an dieser Stelle kritisch mit Innovationskultur und Innvationskommunikation auseinandergesetzt. Wir haben darüber diskutiert, und sind zu einer ganz und gar uninnovativen Lösung gekommen: Wir wiederholen das Ganze, und ich schreibe ebenfalls einen Text über Innovation.

Was auch immer es ist: irgendetwas in uns giert nach Innovation. Wie sonst könnte der ständige Drang zum Neuem, zum Besserem, derart zur Norm geworden sein? Wer in seiner Arbeit nicht bloß reproduziert, sondern besser macht, wird dafür wertgeschätzt. Fürs Neue Wege beschreiten, fürs über den Tellerrand schauen, fürs out of the box thinken, fürs nicht Stehenbleiben, fürs Pionierarbeit leisten, fürs kreativ sein, fürs Gamechangen, fürs disruptiv sein. Für innovatives Denken kennt unsere Sprache viele schöne Phrasen und Redewendungen.

Wir bei Oikoplus sind ständig aufgefordert, innovative Wege in der Kommunikation von Wissenschaft und Forschung zu gehen. Und die Forschung treibenden, die wir dabei beraten und unterstützen, sind ebenfalls ständig mit Innovation beschäftigt. Manchmal wirkt das so, als seien alle ständig aufgefordert, das Rad neu zu erfinden.

Exnovation: Kann das weg?

Fangen wir einmal mit dem Gegenbegriff zur Innovation an: Exnovation. Denn oft ist es nicht das Neue an sich, das den Fortschritt antreibt, sondern das, was schon da ist, aber weg soll. In unserem Projekt REACT (LINK) zum Beispiel, geht es zwar um Innovationen in der Bekämpfung schädlicher Insekten. Aber es geht vor allem darum, die alten Methoden – nämlich Pestizide – zu ersetzen. Ist das Projekt nun getrieben von Innovation, oder von Exnovation? Schwer zu sagen. Letztlich geht es um zwei Seiten derselben Medaille. Trotzdem bleibt die Exnovation oft unterbeleuchtet. Darauf verweisen auch Jean Bartley und Lawrence Knall in einem Artikel aus dem Jahr 2021. Die beiden argumentieren, ein besseres Verständnis von Exnovation, sorge für bessere Innovationskultur. 

In eine sehr ähnliche Richtung argumentiert auch ein Text von Alexander Krause auf LinkedIn. Der Agile Coach verspricht in seinem Text, ihn binnen zwei Minuten zu lesen, verändere die Art zu denken. Naja. Probieren Sie es halt einmal aus. 

Während ich das so lese, denke ich mir: Von Exnovation zu sprechen, statt nur von Innovation, schützt nicht unbedingt vor dem eigentümlichen Business-Coach-Sprech unserer Zeit. 

Neues stand nicht immer hoch im Kurs

Es war nicht immer so, dass Neues wertgeschätzt wurde. Das habe ich selbst in einem Interview mit dem Historiker Frank Trentmann erfahren, das ich vor über einem halben Jahrzent geführt habe, und das man noch auf Issuu nachlesen kann. 

Trentmann erzählt darin von europäischen Händlern, die im 17. Jahrhundert  mit Schiffsladungen voller Innovationen nach China aufbrachen, nur um dort auf Unverständnis zu stoßen, da der Wert von Dingen dort an ihr Alter und ihre Bewährtheit geknüpft war. 

Innovation als Glaubensbekenntnis

Dass besonders alte Dinge einen hohen Wert haben, dass kennen wir bis heute. Von Kunst und Antiquitäten zum Beispiel. Wenn es um immaterielle Dinge wie gesellschaftliche Normen gibt, dann ist Alter nicht zwingend ein geeigneter Indikator für Qualität oder Akzeptanz. Beschränkt sich Innovation dabei auf die reine Kommunikationsebene, kommen dabei manchmal Phänomene wie Green-, Pink- oder Wokewashing heraus.

Und dann gibt es sogar noch den rhetorischen Appell an die Innovation, der bloß dazu dient, überfällige Exnovation zu verschleppen. Der lautet ungefähr so: “Wir setzen auf technologische Innovationen statt Verbote!” Das hört man immer wieder mal, zum Beispiel wenn’s um Klimawandelanpassung geht. Statt emissionsstarke Technologien per Gesetz durch emissionsarme zu ersetzen, also Exnovation von oben, wird darauf gewartet, dass sich Innovationen durchsetzen, ohne dass man viel für ihren Erfolgt unternähme. 

Das soll gar nicht heißen, dass nicht auch technologische Innovationen ihren Beitrag leisten können. Nur ist es in vielen Fällen eben einfach nicht ausreichend, auf Innovation zu warten, wo Exnovation längst nötig ist. Das konnte man mit Bezug auf den Klimawandel schon 2010 im Harvard Business Review nachlesen. “Even if energy innovations have a lot of potential, they might not be deployable until it’s too late. History shows that most of the technology breakthroughs need decades to make it to the mass market.” 

Dieses und viele andere Beispiele zeigen, dass es durchaus sinnvoll ist, Exnovation als Begriff ins eigene Vokabular aufzunehmen. Der Begriff hilft dabei, Innovationen kritisch zu hinterfragen. Schließlich gibt’s auch schlechte Innovationen. Für die These aus dem ersten Satz dieses Textes, wonach irgendetwas in uns nach Innovation giert, gibt es im Deutschen übrigens auch ein schönes Wort: Neugier. Die Gier nach Neuem. Und so kritisch man den Innovationsbegriff auch hinterfragt: Dass Neugier im Wortsinn, als Gier nach Neuem, auch ihre guten Seiten hat – davon gehen wir bei Oikoplus aus.

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RL #034: Innovation; oder Conscientization

In dieser Reading List nähere ich mich mit Innovation und der Weitergabe von Wissen mit dem Ziel der Innovation an. Ausgehend von Gedanken zu Innovation an Universitäten und in Unternehmen, schließe ich mit einem alternativen, auf Paulo Freire zurückgehenden, Ansatz zur Kommunikation von Neuem: der Conscientization.

Innovation als Auftrag

Unreflektiert übernehme ich den Sprech der Förder- und Gesetzgeber, der Unternehmensberatungen: Innovation und Innovationskommunikation sind das A und O eines florierenden Standorts. Der Drang nach Erneuerung, der dem Begriff der Innovation etymologisch eingeschrieben ist, hat in der Klimakrise neue Bedeutung bekommen. Wir sollen innovativ sein: wir alle. Einzelpersonen, Unternehmen, die Verwaltung. Zur Rolle von Universitäten in diesem veränderten Umfeld, formulieren Maximilian Vogt und Christoph Weber, dass wir an einer Wissenschaft ohne ein “New Enlightenment” und ohne gesellschaftlichen Auftrag nicht mehr vorbei kommen.

Researchers looking at plants in glasses
Bild von felixioncool auf Pixabay

Für Unternehmen ist die Frage nach der Rolle nicht weniger dringlich. Irgendwie aber scheint mir, wird angenommen, dass Unternehmen gesellschaftliche Innovation ohnehin ganz gut könnten. Nicht die Innovation muss hier angemahnt werden; eher die Innovationskultur. Wie kann Innovation noch gezielter unterstützt werden? Hier kommt die Innovationskommunikation ins Spiel. Innovationskommunikation, das ist das Kommunizieren neuer Ideen, Konzepte, Produkte, Dienstleistungen und Prozesse die sich von jenen unterscheiden die bereits existieren. Dabei ist Innovationskommunikation nicht nur ein kritisches Merkmal für den Erfolg von Innovation, sondern eine Bedingung für Innovation an sich:

“The lonely innovator is a myth. Solo innovation does not exist. Unlike invention, it’s a team sport. Working in solitude may lead to invention, but not onnovation because it requires communication with others.”

Alex Goryachev, Forbes Council Member

Wenig überraschend ist Goryachev’s Schlussfolgerung, dass Innovation dann erfolgreich ist, wenn auch die Kommunikation an ihrem Höhepunkt ist. Also wenn Ideen, Konzepte, Produkte, Dienstleistungen und Prozesse in möglichst diversen Teams derart geteilt und einverleibt wurden, dass alle am Innovationsprozess Beteiligten bewusst ist, dass sie mit der Innovation Veränderung herbeiführen können. Die Auftragslage ist unbestritten; Tipps und Empfehlungen für das Kultivieren von Innovationskultur gibt es zur Genüge und in allen Formen. Zum Beispiel hier, hier oder hier. Manche davon sind fast peinlich banal.

Grenzen der Innovation

Eine umfassende und vielschichtige Aufarbeitung des Innovationsbegriffes findet sich im von Benoit Godin im Routledge Verlag publiziertem Buch “Innovation Contested: The Idea of Innovation over the Centuries”. Godin beginnt seine Reise zum Thema bei den antiken Griechen und thematisiert davon ausgehend nicht nur die Erfolge, sondern vor allem auch die Widerstände, die Innovationen immer wieder erfahren und überwinden musste. Auf Google Books waren nur Ausschnitte des Buches frei zugänglich; das Lesen der entsprechenden Stellen hat aber Spass gemacht. Godin thematisiert die Rollen von Glauben und Kirche, ebenso wie von den anfänglichen Schwierigkeiten in der Kollaboration von Universitäten und Unternehmen.

Bild von Pavlo auf Pixabay

Den Grenzen von Innovation und der ihr zugeordneten Kommunikation widmen sich auch Ronald C. Beckett und Paul Hyland. In ihrem Essay argumentieren die beiden, dass Innovation vor allem dort geschieht, wo es Reibungen gibt. Diese Reibungen, einst als Hemmnis wahrgenommen wurden, müssen überwunden werden eine kommunikative Herausforderung. Die Antwort der Autoren auf die Herausforderung scheint mir zu konventionell, bzw. zu wenig explizit. Das Anpassen der Strukturen die Innovationsprozesse beherbergen. Ok, aber: ist das alles?

Innovationskommunikation am Limit. Oder: Conscientization

Conscientization ist ein von Paulo Freire entwickeltes Konzept, das die Befreiung von Menschen durch Bildung beabsichtigt. Die Menschen sollen ihre eigene Realität erkennen und verstehen lernen, um dann zu beurteilen wie Neues ihr Leben verändern kann. Man könnte das so lesen, als ob Erkennen und Verstehen Menschen auf die Teilnahme in Innovationsprozessen vorbereiten würde. Eine Einführung zum Begriff, der auch als kritisches Bewusstsein Eingang in die Literatur gehalten hat, findet sich auf Wikipedia. Wer das Grundgerüst von Freire’s Denken besser verstehen möchte, dem seien die 8 Minuten 14 Sekunden “An Incredible Conversation” mit Paulo Freire nahegelegt.

Na bravo: jetzt sind wir bei postmarxistischem Denken für Innovationskultur und -Kommunikation angelangt.

Bild von Bach Nguyen auf Pixabay

Die Anwendung von Conscientization inspirierten Innovationsprozessen hat jedenfalls nach einer ersten Hochphase in den 1980er Jahren, zuletzt wieder zugenommen: Karin Berglund und Johannson argumentieren für eine Stärkung des ländlichen Raums durch eine auf Conscentization beruhende Innovationskultur bei kleinen Unternehmen. Juan Díasz Bordavene et al. heben die Notwendigkeit der Integration südamerikanischer Bäuer*innen in den Innovationsprozess durch Conscientization hervor, um für die Region nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Hsu Meng-Jun et al. dokumentierten die für viele lebensrettende Beschleunigung von Innovationsprozessen ausgehend von einer gemeinsamen und geteilten, der kritischen Conscientization entsprechenden Weitergabe von Wissen.

Am Wendepunkt

Eigentlich wollte ich hier kein Pamphlet schreiben. Am Ende ist es doch eines geworden. Mein Punkt ist, dass es, so wie alle mit Innovation beauftragt zu sein scheinen, an der Zeit ist, der Betriebswirtschaft entstammende Ansätze der Innovationskommunikation zu überdenken. Beginnen sollten wir mit der Frage, wer am Prozess beteiligt sein soll. Und dann welche Sprache es allen ermöglicht sich adäquat auszudrücken. Wenn das Malereien sind, dann ist das ebenso legitim wie Besuche im Feld, Gespräche oder Lego-Sessions bei denen ein Team sich spielerisch über Innovation austauscht. Lasst uns neue Ideen ausprobieren; auch in Entwicklungsabteilungen in denen nur vermeintlich alle dieselbe Sprache sprechen.