In der letzten Oikoplus Reading List hat Michael Anranter sich an dieser Stelle kritisch mit Innovationskultur und Innvationskommunikation auseinandergesetzt. Wir haben darüber diskutiert, und sind zu einer ganz und gar uninnovativen Lösung gekommen: Wir wiederholen das Ganze, und ich schreibe ebenfalls einen Text über Innovation.
Was auch immer es ist: irgendetwas in uns giert nach Innovation. Wie sonst könnte der ständige Drang zum Neuem, zum Besserem, derart zur Norm geworden sein? Wer in seiner Arbeit nicht bloß reproduziert, sondern besser macht, wird dafür wertgeschätzt. Fürs Neue Wege beschreiten, fürs über den Tellerrand schauen, fürs out of the box thinken, fürs nicht Stehenbleiben, fürs Pionierarbeit leisten, fürs kreativ sein, fürs Gamechangen, fürs disruptiv sein. Für innovatives Denken kennt unsere Sprache viele schöne Phrasen und Redewendungen.
Wir bei Oikoplus sind ständig aufgefordert, innovative Wege in der Kommunikation von Wissenschaft und Forschung zu gehen. Und die Forschung treibenden, die wir dabei beraten und unterstützen, sind ebenfalls ständig mit Innovation beschäftigt. Manchmal wirkt das so, als seien alle ständig aufgefordert, das Rad neu zu erfinden.
Exnovation: Kann das weg?
Fangen wir einmal mit dem Gegenbegriff zur Innovation an: Exnovation. Denn oft ist es nicht das Neue an sich, das den Fortschritt antreibt, sondern das, was schon da ist, aber weg soll. In unserem Projekt REACT (LINK) zum Beispiel, geht es zwar um Innovationen in der Bekämpfung schädlicher Insekten. Aber es geht vor allem darum, die alten Methoden – nämlich Pestizide – zu ersetzen. Ist das Projekt nun getrieben von Innovation, oder von Exnovation? Schwer zu sagen. Letztlich geht es um zwei Seiten derselben Medaille. Trotzdem bleibt die Exnovation oft unterbeleuchtet. Darauf verweisen auch Jean Bartley und Lawrence Knall in einem Artikel aus dem Jahr 2021. Die beiden argumentieren, ein besseres Verständnis von Exnovation, sorge für bessere Innovationskultur.
In eine sehr ähnliche Richtung argumentiert auch ein Text von Alexander Krause auf LinkedIn. Der Agile Coach verspricht in seinem Text, ihn binnen zwei Minuten zu lesen, verändere die Art zu denken. Naja. Probieren Sie es halt einmal aus.
Während ich das so lese, denke ich mir: Von Exnovation zu sprechen, statt nur von Innovation, schützt nicht unbedingt vor dem eigentümlichen Business-Coach-Sprech unserer Zeit.
Neues stand nicht immer hoch im Kurs
Es war nicht immer so, dass Neues wertgeschätzt wurde. Das habe ich selbst in einem Interview mit dem Historiker Frank Trentmann erfahren, das ich vor über einem halben Jahrzent geführt habe, und das man noch auf Issuu nachlesen kann.
Trentmann erzählt darin von europäischen Händlern, die im 17. Jahrhundert mit Schiffsladungen voller Innovationen nach China aufbrachen, nur um dort auf Unverständnis zu stoßen, da der Wert von Dingen dort an ihr Alter und ihre Bewährtheit geknüpft war.
Innovation als Glaubensbekenntnis
Dass besonders alte Dinge einen hohen Wert haben, dass kennen wir bis heute. Von Kunst und Antiquitäten zum Beispiel. Wenn es um immaterielle Dinge wie gesellschaftliche Normen gibt, dann ist Alter nicht zwingend ein geeigneter Indikator für Qualität oder Akzeptanz. Beschränkt sich Innovation dabei auf die reine Kommunikationsebene, kommen dabei manchmal Phänomene wie Green-, Pink- oder Wokewashing heraus.
Und dann gibt es sogar noch den rhetorischen Appell an die Innovation, der bloß dazu dient, überfällige Exnovation zu verschleppen. Der lautet ungefähr so: “Wir setzen auf technologische Innovationen statt Verbote!” Das hört man immer wieder mal, zum Beispiel wenn’s um Klimawandelanpassung geht. Statt emissionsstarke Technologien per Gesetz durch emissionsarme zu ersetzen, also Exnovation von oben, wird darauf gewartet, dass sich Innovationen durchsetzen, ohne dass man viel für ihren Erfolgt unternähme.
Das soll gar nicht heißen, dass nicht auch technologische Innovationen ihren Beitrag leisten können. Nur ist es in vielen Fällen eben einfach nicht ausreichend, auf Innovation zu warten, wo Exnovation längst nötig ist. Das konnte man mit Bezug auf den Klimawandel schon 2010 im Harvard Business Review nachlesen. “Even if energy innovations have a lot of potential, they might not be deployable until it’s too late. History shows that most of the technology breakthroughs need decades to make it to the mass market.”
Dieses und viele andere Beispiele zeigen, dass es durchaus sinnvoll ist, Exnovation als Begriff ins eigene Vokabular aufzunehmen. Der Begriff hilft dabei, Innovationen kritisch zu hinterfragen. Schließlich gibt’s auch schlechte Innovationen. Für die These aus dem ersten Satz dieses Textes, wonach irgendetwas in uns nach Innovation giert, gibt es im Deutschen übrigens auch ein schönes Wort: Neugier. Die Gier nach Neuem. Und so kritisch man den Innovationsbegriff auch hinterfragt: Dass Neugier im Wortsinn, als Gier nach Neuem, auch ihre guten Seiten hat – davon gehen wir bei Oikoplus aus.