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RL #039: Immersive Erlebnisse in der Wissenschaftskommunikation

Immersive Experiences gehören zu den angesagten Werkzeugen der Wissenschaftskommunikation. Zu Recht?

Als ich zehn oder elf Jahre alt war besuchte ich mit der Schule eine Ausstellung über Straßenkinder im Globalen Süden. Wir hatten vorher im Deutschunterricht das Buch „Das Tor zum Garten der Zambranos“ von Gudrun Pausewang gelesen, in dem es um die Freundschaft zwischen einem Strassenjungen und dem Sohn einer reichen Familie geht, die kurzerhand ihre Rollen tauschen. Die Ausstellung ergänzte die Buchlektüre perfekt, denn sie griff viele der Themen auf. Die Ausstellung führte in lateinamerikanische, asiatische und afrikanische Kontexte, samt nachgebauter Strassenszenen und den jeweils passenden Artefakten. Und als Besucher erlebte man die Ausstellung in unbequemen improvisierten Latschen aus Autoreifen, wie Strassenkinder sie oft tragen. 

Mir ist diese Ausstellung nach einem Vierteljahrhundert bis heute in Erinnerung. Aber weshalb? Meine Vermutung: Die Kombination von Buchlektüre, einer gut gemachten Ausstellung und der sehr haptischen Erfahrung der Autoreifen-Latschen war einprägsam genug, um bis heute erinnert zu werden. Eine immersive experience von white northern privilege, ganz undigital und analog. Heute, Jahrzehnte später, wird Immersion meist als Verschränkung analoger und digitaler Erlebnisse gedacht. Dafür tummeln sich zahlreiche spezialisierte Anbieter:innen, die auch in der Wissenschaftskommunikation aktiv sind. Denn für die Kommunikation von Forschung und Innovation bieten immersive experiences große Potenziale. Das SciComm-Portal impact.science sieht Virtual Reality Experiences deshalb auch auf Platz 1 der Top 10 Science Communication Trends des Jahres 2024Doch was versteht man eigentlich genau unter immersive experiences?

Immersion: Was? 

Nützliche Definitionsarbeit leistet hier das Immersive Experience Institute, eine Art Think Tank aus Kalifornien. Wer sich eingehender mit der Frage beschäftigen möchte, was immersive Erlebnisse ausmacht und worin ihre Potenziale und Qualitäten liegen, findet im Journal of Network and Computer Applications peer-reviewte Antworten. Und wer sich für die praktische Umsetzungsebene interessiert, der kann zum Beispiel einen Blick auf das Kopenhagener Unternehmen Khora werfen, mit dem Oikoplus zuletzt an einer EU-Projekteinreichung zusammengearbeitet hat. Das kreative Team von Khora entwickelt Virtual Reality und Augmented Reality für die unterschiedlichsten Anwendungsbereiche. Die Projekte, an denen Khora mitwirkt, zeigen, wie Virtual Reality auch in EU-geförderteten Forschungs- und Innovationsprojekten eingesetzt und erforscht wird. Etwa im Horizon Europe Projekt XTREME (Mixed Reality Environment for Immersive Experience of Art and Culture), das im Januar 2024 gestartet ist. Darin werden in einem Konsortium von 14 Partnern Mixed-Reality (MR)-Lösungen erforscht und entwickelt, um Kunst zu erleben.

Natürlich sind viele Einsatzgebiete von Virtual Reality, Augmented Reality und immersiven Technologien ressourcenintensiv und aufwändig. Das führt dazu, dass ihr Einsatzgebiet oft kommerzieller Natur ist. Ein Beispiel dafür ist die rund um den Globus erfolgreiche Ausstellung „Van Gogh – The Immersive Experience”. Doch auch hierbei wird Wissen vermittelt und erlebbar gemacht. . 

Was nützt die Immersion kommunikativ?

Aber führen immersive Erfahrungen mit der Unterstützung moderner VR und AR Technologie auch zu messbaren Kommunikationserfolgen? Nun, so ganz einfach lässt sich das nicht beantworten. Forschung dazu wird punktuell betrieben: Elizabeth Behm-Morawitz an der University of Missouri z.B. hat die Effektivität von VR als Tool der Wissenschaftskommunikation untersucht. Allerdings für einen sehr konkreten Anwendungsfall. In einem Artikel auf LinkedIn schreibt das britische Unternehmen Imagineerium, selbst ein Anbieter technologiegestützter immersiver Erlebnisse:  „There has not been a great deal of research done on human psychology when exercised in an immersive experience, but some scientists and psychologists are beginning to look into it more as VR grows from strength to strength and immersion is starting to be used in learning experiences.”

Vermutlich ist es nicht einfach zu sagen, ob digitale, immersive Erlebnisse ein sinnvolles Kommunikationstool sind. Es is wie so oft: Es kommt ganz darauf an. Jedenfalls erweitern sie den Werkzeugkasten der Wissenschaftskommunikation. Virtual Reality und Augmented Reality sind sicher ein sinnvolles Werkzeug für so mache kommunikative Botschaft und so manche Zielgruppe. Aber eben nicht für jede, überall und jederzeit. Und dann kommt es auf den Zweck an. Die immersive Ausstellung, die ganz analog daher kam, und die ich in den späten 90ern besucht habe, ist dafür ein gutes Beispiel. Ich erinnere mich an die Erfahrung der Ausstellung, ihr Thema, weniger aber an ganz konkrete Ausstellungsinhalte. Aber dafür, ist das vielleicht auch einfach zu lang her. 

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RL #038: Denkfabriken – Kommunizieren mit politischem Impact

In dieser Reading List wollen wir uns ansehen, welche Kommunikationsmethoden Think Tanks anwenden, um Wissenschaft in die Politik zu tragen.

    Professionelle Anbieter:innen für Wissenschaftskommunikation – ob eingebettet in Forschungseinrichtungen, als Unternehmen wie Oikoplus, oder Think Tanks – haben zum Ziel, Forschungsergebnisse klar und transparent zu kommunizieren und Wissen für die öffentliche Debatte bereitzustellen. Das Zielpublikum dafür ist vielfältig. Eine relevante Zielgruppe, die immer wieder erklärter Adressat von Wissenschaftskommunikation ist, sind politische Entscheidungsträger:innen. In dieser Reading List wollen wir uns deshalb Kommunikationsmethoden widmen, die auf die Politik zielen, und dabei einen Blick auf Think Tanks, also wissenschaftlich-politische Denkfabriken, werfen.

    Laut Sarah Lewis von TechTarget schaffen Think Tanks einen Raum für Debatten, die Generierung von Ideen und Wege zur Wissensverbreitung. Für eine dezidiert politische Zielgruppe, geht es dabei nicht nur um die Bereitstellung von Informationen, sondern darum, mit Informationen die Grundlage für Entscheidungen zu bieten. Wie Clair Grant-Salmon betont, sind die Zeiten vorbei, in denen Think Tanks Standard-Maßnahmen für alle entwickeln konnten. Heutzutage müssen Think Tanks wissen, an wen sie sich wenden und was sie erreichen wollen.

    Policy-orientiere Denkfabriken erzeugen laut Annapoorna Ravichander, Leitlinien, die dazu beitragen, politische Ergebnisse in angemessener Weise zu erzielen. Sie unterscheiden sich von Prozessen und Maßnahmen. Policy ist breit angelegt und gibt eine bestimmte Richtung vor. Auch wenn die Wissenschaftskommunikation keine direkten politischen Ziele verfolgt, kann sie doch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung politischer Debatten, der Information von Entscheidungsträger:innen und der Beeinflussung der Entwicklung von Ideen spielen.

    Der wichtigste Weg für Wissenschaftskommunikatoren, politische Wirkung zu erzielen, ist die Bereitstellung von Expertise und Beratung für politische Entscheidungsträger:innen. SciComm-Anbieter können Forscher z.B. als Berater für Regierungsbehörden positionieren, und so einen Beitrag zum politischen Entscheidungsprozess leisten. Diese Methode birgt jedoch eine Herausforderung in sich: Laut Andrea Baertl Helguero müssen insbesondere Think Tanks, um durch Beratung Einfluss auf die Politik nehmen zu können, akademische Transparenz wahren und sicherstellen, dass ihre Forschung sorgfältig und zuverlässig ist. 

    Eine weitere wichtige Methode, um politischen Einfluss zu gewinnen, ist die Vernetzung. Eine klassische Methode, die von Think Tanks angewandt wird. Wie Alejandro Chaufen in einem Artikel für Forbes erklärt, ermöglicht die Vernetzung Think Tanks die Schaffung von Plattformen, auf denen Ideen ausgetauscht werden können und ein Konsens über politische Agenden gebildet werden kann. 

    Eine Formatfrage

    Ein etabliertes Format, um Forschungsergebnisse für die Politik aufzubereiten, sind Policy Briefs. Ein Policy Brief ist eine prägnante, gut recherchierte und informierte Zusammenfassung eines bestimmten Themas, der politischen Optionen zur Lösung dieses Problems und einiger Empfehlungen. Diese Kurzdarstellungen sind ein wichtiges Instrument, um einem nicht-wissenschaftlichen Publikum Forschungsergebnisse und darauf basierende Empfehlungen zu präsentieren, um Entscheidungsfindungen zu unterstützen. Policy Briefs ermöglichen es Wissenschaftskommunikator:innen, ihre Forschung und ihre Ergebnisse auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die die Dringlichkeit der Angelegenheit vermittelt und für Menschen mit unterschiedlichem Wissensstand zugänglich ist. Auch hier sollten die Absender:innen jedoch für Transparenz sorgen und bei der Darstellung von Problemen, Optionen oder Lösungsvorschlägen unabhängig und transparent bleiben.  

    Wenn politischer Impact das erklärte Ziel von Forschungsprojekte bzw. Wissenschaftskommunikation ist, ergibt sich daraus ein Bedarf an vorausschauenden Methoden und Prognosearbeit. Wissenschaftskommunikator:innen sollten politische Prozesse langfristig betrachten, um die Dynamik ihrer Themen und Ideen zu verstehen. Mark Halle vom International Institute for Sustainable Development erklärt, dass Think Tanks sich keine Vagheit leisten können. Sie müssen klare und zielgerichtete Ergebnisse erzielen, die eine Vision langfristiger, positiver Auswirkungen beinhalten.  

    Dieser Text dient hoffentlich als ein guter Einstieg in die Frage, was man von Denkfabriken lernen kann, wenn es darum geht, durch Wissenschaftskommunikation politischen Impact zu erzielen. Und damit führt er fast unweigerlich zu der Frage, wie man Impact von Forschung überhaupt misst. Damit haben wir uns zum Glück bereits in anderen Readings Lists beschäftigt, z.B. hier

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    RL #037: 10 Learnings aus der Wissenschaftskommunikation

    Was kann man von der Wissenschaftskommunikation lernen? Eine Reading List auf Grundlage der Erfahrungen der ersten fünf Jahre Oikoplus. 

    1. Relevante Zielgruppen können auch klein sein. 

    Den Erfolg von Kommunikation, misst man häufig in Reichweite. Auch in der Kommunikation für Forschungs- und Innovationsprojekte, ist Reichweite eine harte Währung. Doch oft sind es sehr spezifische und kleine Zielgruppen, die besonders relevant für die erfolgreiche Projektkommunikation sind. In unserem Projekt Domino-E zum Beispiel, ist eine der relevantesten Zielgruppen der überschaubarer Kreis an Menschen, die sich mit dem Programmieren von Satellitenmissionen zum Zweck der Erdbeobachtung beschäftigen. Diese Zielgruppe ist nicht nur klein, sondern es ist auch nicht einfach, die Kommunikationskanäle zu identifizieren, über die sie zu erreichen ist. Allerdings ist der Content für diese Zielgruppe spezifisch genug, um davon ausgehen zu können, dass die Zielgruppe den relevanten Content findet, solange er gut auffindbar ist. Also entschieden wir uns für YouTube als Kanal.  

    2. Simplifizieren muss nicht Banalisieren sein.

    Je genauer man in ein Thema hineinzoomt, desto größer wird es. Viele Themen und Fragestellungen wirken auf den ersten Blick überschaubar, und erst bei genauerer Betrachtung stellt sich ihre Komplexität, Tiefe und Vielschichtigkeit heraus. Trotzdem ist es nicht falsch, zunächst oberflächlich auf ein Thema zu blicken, und erst im zweiten Schritt tiefer einzusteigen. Für Expert:innen, die sich in einem bestimmten Themengebiet extrem gut auskennen, ist es oft schwierig, diesen oberflächlichen Blick zuzulassen. Zu sehr wissen sie um die Aspekte, die sich erst bei genauerer Betrachtung zeigen. Und deshalb fühlt sich der oberflächliche Blick für sie wie eine Vereinfachung an, und oft wie eine Banalisierung. Es ist wichtig, Vereinfachung zuzulassen. Korrekt allerdings, sollte sie sein. Unser Projekt REACT, das sich mit der Bekämpfung steriler Insektenarten beschäftigt, lässt sich wunderbar zusammenfassen: Insekten werden sterilisiert, damit sie sich in der Natur mit wildtypischen Insekten paaren, ohne das Nachkommen entstehen. Durch den mangelnden Nachwuchs schrumpft mittelfristig die Insektenpopulation. Und so wird die Landwirtschaft vor dem Schädling geschützt. Technisch steckt ein großer Aufwand hinter dieser Methodik. Trotzdem haben wir versucht, das Projekt in möglich simplen, verständlichen Worten zu erklären.

    Photo by Melanie Deziel on Unsplash

    3. Die „breite Öffentlichkeit” gibt es nicht. 

    Wissenschaftskommunikation hat das Ziel, Forschung für die breite Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Diese breite Öffentlichkeit findet sich deshalb als Zielgruppe in den Anträgen und Beschreibungen vieler Forschungs- und Innovationsprojekte. Nur: die breite Öffentlichkeit gibt es aus Perspektive der Kommunikation kaum. Die Gesamtheit der Öffentlichkeit anzusprechen ist verdammt schwierig, oder besser: es ist unmöglich. Durch das Entwickeln von Key Messages und Storytelling-Ansätzen findet automatisch immer auch eine Auswahl der Zielgruppen statt. Nicht jede:r findet alles interessant. Und wenn es gelingt, das Interesse möglichst unterschiedlicher Zielgruppen zu treffen, ist das schon ein toller Kommunikationserfolg. Um ein Verständnis dafür zu gewinnen, wie vielschichtig die Zielgruppen unserer Kommunikation in Forschungs- und Innovationsprojekten sein können, lassen wir unsere Projektpartner zum Beginn eines Projekts in interaktiven Workshops Personas entwickeln. Das sind fiktive Personen, anhand derer wir uns im folgenden Schritt gemeinsam überlegen, was zu tun ist, um sie durch unsere Projektkommunikation zu erreichen: mit welchen Botschaften, auf welchen Kanälen, wann, wieso, und mit welchem Ziel überhaupt? Dabei wird meist recht schnell klar: die breite Öffentlichkeit ist nur ein Hilfsbegriff, der darauf hindeutet, dass jedes einzelne Projekt viele unterschiedliche Zielgruppen ansprechen kann. 

    1. Unterschätze nie, wie spannend ein Thema sein kann. 

    Wie interessant ein Thema ist, erschließt sich manchmal nicht auf den ersten Blick. Kein Wunder: Man kann nicht jedes Thema als gleichermaßen spannend empfinden, und es kommt immer auch darauf an, wie ein Thema präsentiert wird. Nun könnte man sagen: Es ist die Aufgabe von Wissenschaftskommunikatoren wie Oikoplus, dafür zu sorgen, dass ein Thema das Interesse möglichst vieler Menschen weckt. Das stimmt auch. Doch auch für diejenigen, die Wissenschaftskommunikation betreiben, gilt, dass sie zunächst einmal ihr eigenes Interesse am Thema finden müssen. Das gelingt nicht immer auf Anhieb, und deshalb ist es Teil unserer Arbeit, aktiv nach den Zugängen zu einem beliebigen Thema zu suchen, in denen wir das Potential erkennen, ein Thema zielgruppenspezifisch zu erzählen. Wir zwingen uns deshalb zur Neugier und dazu, empathisch darüber nachdenken, worin der thematische Reiz für andere Zielgruppen bestehen könnte. Dabei fällt früher oder später der Groschen – und dann wird die Kommunikation gleich um ein Vielfaches einfacher. 

    5. Auch, wer die spannendste Forschung betreibt, redet nicht immer gern darüber.

    Als Journalist:in, muss man Interview-Partner:innen manchmal die Informationen, die man vermitteln möchte, sprichwörtlich aus der Nase ziehen. Man muss immer wieder nachfragen, weil das Interesse an der Informationsvermittlung eher einseitig ist. Wenn man nicht Journalismus betreibt, sondern Wissenschaftskommunikation im Auftrag der Wissenschaft, dann kann das auch passieren. Das kann überraschen, schließlich würde man meinen, dass die Informationsvermittlung sowohl im Interesse der Wissenschaftler:innen als auch der Öffentlichkeit ist, und man in der Rolle des Kommunikators lediglich die Vermittlungsarbeit zu leisten hat. In der Praxis mussten wir allerdings schon oft feststellen, dass Forschende nicht immer gern über ihre Arbeit sprechen, und man ihnen selbst grundlegende Erklärungen mühevoll entlocken muss. Für dieses Problem gibt es keine einfache Lösung. Es gilt, Vertrauen aufzubauen, die eigene Kommunikationsarbeit möglichst transparent darzustellen und Umfelder zu schaffen, in denen Einblicke in die wissenschaftliche Arbeit möglich werden. Das kann im Einzelfall der große Videodreh im Labor, mit künstlichem Licht und großem Kameraequipment sein, und im anderen Fall das persönliche one-on-one Gespräch. Jedenfalls erledigt sich Wissenschaftskommunikation nicht wie von selbst, selbst wenn die aufregendste Forschung kommuniziert wird. 

    Photo by Gabriel Valdez on Unsplash

    6. Qualität und Quantität. 

    In der Wissenschaft geht Qualität über Quantität. In der Kommunikation ist das manchmal nicht so klar. Wenn in den Anträgen für Forschungsprojekte die Ziele für die Projektkommunikation festgeschrieben werden, dann setzt man die entsprechenden KPIs gern hoch an. Schließlich soll ein Antrag hohe Ambitionen ausdrücken. Kommt es zur Bewilligung, stellt man dann fest, dass die Ziele mglw. zu hoch gesteckt waren, und dass sich Publikationen, Pressemitteilungen, Website-Artikel, Social-Media-Postings, Fotos, Videos und andere Inhalte der Projektkommunikation zwar machen lassen, dass es aber nicht leicht ist, die eigenen, hohen Qualitätsstandards zu halten. Für hochqualitative Inhalte braucht es Zeit. In unserer Videoreihe zum Beispiel, die wir für das REACT-Projekt umsetzen, versuchen wir, das Forschungsprojekt möglichst umfassend und gleichzeitig möglichst verständlich zu erklären. Das erste der Erklärvideos findet sich hier. Um solche Videos zu produzieren, ist ein langer und detailreicher Austausch mit den beteiligten Forschenden nötig. Deshalb können in einem Projekt wie REACT nicht Dutzende solcher Videos entstehen. Und das sollte sich auch in den Zielsetzungen zum Projektbeginn ausdrücken. 

    7. Geschwindigkeit ist nicht alles in der Kommunikation.

    Gut Ding, braucht eben Weile. Und diese Zeit muss man in der Wissenschaftskommunikation einplanen. In anderen Bereichen der Kommunikation, im Journalismus, in der PR, in der Werbung, ist Geschwindigkeit oft zentrales Qualitätsmerkmal. Und auch in der Wissenschaftskommunikation gibt es Momente, in denen es wichtig ist, schnell zu reagieren. Doch allgemein folgt die Wissenschaftskommunikation dem Tempo der Wissenschaft. Für die Pressearbeit bedeutet das zum Beispiel, dass man sich von der zeitlichen Logik des Medienbetriebs ein wenig lösen kann. Ein Forschungsthema verliert nicht einfach deshalb seine Relevanz, weil es nicht mehr tagesaktuell ist. Wenn z.B. die Publikation eines Papers schon einige Wochen zurückliegt, ist es nicht von vorne herein zwecklos, Journalist:innen auf das Paper aufmerksam zu machen. Das ist ein großer Unterschied von Wissenschaftskommunikation zu anderen Feldern der professionellen Kommunikationsarbeit.

    Photo by Bradley Pisney on Unsplash

    8. Man muss nicht komplett verstehen, was man kommuniziert.

    Oft kommt es uns bei Oikoplus zugute, dass wir uns den Forschungsprojekten, die wir kommunikativ begleiten, als Laien nähern. Dass wir keine Expert:innen für Stadtentwicklung, Archäologie, Pflanzenschutz, Satellitentechnologie oder die Energiewende sind, hat uns geholfen, in den Projekten, die wir auf diesen Gebieten umsetzen, die richtigen Fragen zu stellen. Denn dass wir die Methoden und Innovationen unserer Projekte nicht auf Anhieb verstehen, haben wir mit unseren Zielgruppen gemein. Das ist nicht als Hymne auf die Banalisierung zu verstehen. Es hilft natürlich, sich mit den Themen, die kommuniziert werden, zu beschäftigen und sich einzulesen. Aber man muss auch keine Angst davor haben, die eigene Expertise, nämlich die Kommunikationsexpertise, in Projekte einzubringen, von denen man zunächst einmal keine Ahnung hat. Keine Angst vor Rocket Science. Auch Raktenwissenschaftler:innen sind manchmal auf Kommunikations-Expert:innen angewiesen. 

    9. Think globally, act globally. 

    Um ein abstraktes Thema zugänglich zu machen, verbindet man es oft mit einem überschaubaren Aspekt aus dem Alltag von Menschen. Das ist im Journalismus eine verbreitete Methode. Um auf die Folgen des globalen Klimawandels aufmerksam zu machen, beschreibt man zum Beispiel Veränderungen des Ökosystems auf der lokalen Ebene vor Ort. Dadurch erzeugt man relatability. Darüber haben wir an dieser Stelle in Reading List #010 geschrieben. So weit, so sinnvoll. In unserer Kommunikation für Europa- und weltweite Forschungsprojekte, fehlt uns manchmal diese lokale oder alltägliche Ebene. Wir gestalten Kommunikation für internationale Zielgruppen, schließlich ist auch die Forschung international. Der Slogan “think globally, act locally” wird für uns deshalb oft zu “think globally, act globally”. Das heißt konkret: Wissenschaftskommunikation kann nicht immer auf die Bedürfnisse unterschiedlicher lokaler Zielgruppen eingehen. Daran scheitert man allein schon bei den Übersetzungen in zig verschiedene Sprachen, und an der Mobilität. Wissenschaftskommunikation spielt sich auf einer internationalen Ebene ab. Und als Wissenschaftskommunikator muss man häufig darauf vertrauen, dass die Themen, zu denen man kommuniziert, ihre Zielgruppen finden – nicht anders herum. 

    10. Neugier ist der beste Antrieb von Kommunikation.

    Wenn man uns bei Oikoplus fragt, was uns antreibt, dann fällt die Antwort inzwischen leicht. Es ist die Neugier. Im Deutschen leitet sich das Wort von der Gier nach Neuem ab. Damit haben wir uns kritisch in einer unserer letzten Reading Lists auseinandergesetzt. Wir verstehen Neugier als das ständige Interesse an neuen Erfahrungen, Erkenntnissen und Perspektiven. Dass wir in unserer Arbeit ständig dazulernen können, dass sie zu einem großen Teil sogar daraus besteht, begreifen wir als ein großes Privileg der Wissenschaftskommunikation. Wir machen das wirklich gerne. 

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    RL #035: Über Innovation und Exnovation

    In der letzten Oikoplus Reading List hat Michael Anranter sich an dieser Stelle kritisch mit Innovationskultur und Innvationskommunikation auseinandergesetzt. Wir haben darüber diskutiert, und sind zu einer ganz und gar uninnovativen Lösung gekommen: Wir wiederholen das Ganze, und ich schreibe ebenfalls einen Text über Innovation.

    Was auch immer es ist: irgendetwas in uns giert nach Innovation. Wie sonst könnte der ständige Drang zum Neuem, zum Besserem, derart zur Norm geworden sein? Wer in seiner Arbeit nicht bloß reproduziert, sondern besser macht, wird dafür wertgeschätzt. Fürs Neue Wege beschreiten, fürs über den Tellerrand schauen, fürs out of the box thinken, fürs nicht Stehenbleiben, fürs Pionierarbeit leisten, fürs kreativ sein, fürs Gamechangen, fürs disruptiv sein. Für innovatives Denken kennt unsere Sprache viele schöne Phrasen und Redewendungen.

    Wir bei Oikoplus sind ständig aufgefordert, innovative Wege in der Kommunikation von Wissenschaft und Forschung zu gehen. Und die Forschung treibenden, die wir dabei beraten und unterstützen, sind ebenfalls ständig mit Innovation beschäftigt. Manchmal wirkt das so, als seien alle ständig aufgefordert, das Rad neu zu erfinden.

    Exnovation: Kann das weg?

    Fangen wir einmal mit dem Gegenbegriff zur Innovation an: Exnovation. Denn oft ist es nicht das Neue an sich, das den Fortschritt antreibt, sondern das, was schon da ist, aber weg soll. In unserem Projekt REACT (LINK) zum Beispiel, geht es zwar um Innovationen in der Bekämpfung schädlicher Insekten. Aber es geht vor allem darum, die alten Methoden – nämlich Pestizide – zu ersetzen. Ist das Projekt nun getrieben von Innovation, oder von Exnovation? Schwer zu sagen. Letztlich geht es um zwei Seiten derselben Medaille. Trotzdem bleibt die Exnovation oft unterbeleuchtet. Darauf verweisen auch Jean Bartley und Lawrence Knall in einem Artikel aus dem Jahr 2021. Die beiden argumentieren, ein besseres Verständnis von Exnovation, sorge für bessere Innovationskultur. 

    In eine sehr ähnliche Richtung argumentiert auch ein Text von Alexander Krause auf LinkedIn. Der Agile Coach verspricht in seinem Text, ihn binnen zwei Minuten zu lesen, verändere die Art zu denken. Naja. Probieren Sie es halt einmal aus. 

    Während ich das so lese, denke ich mir: Von Exnovation zu sprechen, statt nur von Innovation, schützt nicht unbedingt vor dem eigentümlichen Business-Coach-Sprech unserer Zeit. 

    Neues stand nicht immer hoch im Kurs

    Es war nicht immer so, dass Neues wertgeschätzt wurde. Das habe ich selbst in einem Interview mit dem Historiker Frank Trentmann erfahren, das ich vor über einem halben Jahrzent geführt habe, und das man noch auf Issuu nachlesen kann. 

    Trentmann erzählt darin von europäischen Händlern, die im 17. Jahrhundert  mit Schiffsladungen voller Innovationen nach China aufbrachen, nur um dort auf Unverständnis zu stoßen, da der Wert von Dingen dort an ihr Alter und ihre Bewährtheit geknüpft war. 

    Innovation als Glaubensbekenntnis

    Dass besonders alte Dinge einen hohen Wert haben, dass kennen wir bis heute. Von Kunst und Antiquitäten zum Beispiel. Wenn es um immaterielle Dinge wie gesellschaftliche Normen gibt, dann ist Alter nicht zwingend ein geeigneter Indikator für Qualität oder Akzeptanz. Beschränkt sich Innovation dabei auf die reine Kommunikationsebene, kommen dabei manchmal Phänomene wie Green-, Pink- oder Wokewashing heraus.

    Und dann gibt es sogar noch den rhetorischen Appell an die Innovation, der bloß dazu dient, überfällige Exnovation zu verschleppen. Der lautet ungefähr so: “Wir setzen auf technologische Innovationen statt Verbote!” Das hört man immer wieder mal, zum Beispiel wenn’s um Klimawandelanpassung geht. Statt emissionsstarke Technologien per Gesetz durch emissionsarme zu ersetzen, also Exnovation von oben, wird darauf gewartet, dass sich Innovationen durchsetzen, ohne dass man viel für ihren Erfolgt unternähme. 

    Das soll gar nicht heißen, dass nicht auch technologische Innovationen ihren Beitrag leisten können. Nur ist es in vielen Fällen eben einfach nicht ausreichend, auf Innovation zu warten, wo Exnovation längst nötig ist. Das konnte man mit Bezug auf den Klimawandel schon 2010 im Harvard Business Review nachlesen. “Even if energy innovations have a lot of potential, they might not be deployable until it’s too late. History shows that most of the technology breakthroughs need decades to make it to the mass market.” 

    Dieses und viele andere Beispiele zeigen, dass es durchaus sinnvoll ist, Exnovation als Begriff ins eigene Vokabular aufzunehmen. Der Begriff hilft dabei, Innovationen kritisch zu hinterfragen. Schließlich gibt’s auch schlechte Innovationen. Für die These aus dem ersten Satz dieses Textes, wonach irgendetwas in uns nach Innovation giert, gibt es im Deutschen übrigens auch ein schönes Wort: Neugier. Die Gier nach Neuem. Und so kritisch man den Innovationsbegriff auch hinterfragt: Dass Neugier im Wortsinn, als Gier nach Neuem, auch ihre guten Seiten hat – davon gehen wir bei Oikoplus aus.

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    RL #034: Innovation; oder Conscientization

    In dieser Reading List nähere ich mich mit Innovation und der Weitergabe von Wissen mit dem Ziel der Innovation an. Ausgehend von Gedanken zu Innovation an Universitäten und in Unternehmen, schließe ich mit einem alternativen, auf Paulo Freire zurückgehenden, Ansatz zur Kommunikation von Neuem: der Conscientization.

    Innovation als Auftrag

    Unreflektiert übernehme ich den Sprech der Förder- und Gesetzgeber, der Unternehmensberatungen: Innovation und Innovationskommunikation sind das A und O eines florierenden Standorts. Der Drang nach Erneuerung, der dem Begriff der Innovation etymologisch eingeschrieben ist, hat in der Klimakrise neue Bedeutung bekommen. Wir sollen innovativ sein: wir alle. Einzelpersonen, Unternehmen, die Verwaltung. Zur Rolle von Universitäten in diesem veränderten Umfeld, formulieren Maximilian Vogt und Christoph Weber, dass wir an einer Wissenschaft ohne ein “New Enlightenment” und ohne gesellschaftlichen Auftrag nicht mehr vorbei kommen.

    Researchers looking at plants in glasses
    Bild von felixioncool auf Pixabay

    Für Unternehmen ist die Frage nach der Rolle nicht weniger dringlich. Irgendwie aber scheint mir, wird angenommen, dass Unternehmen gesellschaftliche Innovation ohnehin ganz gut könnten. Nicht die Innovation muss hier angemahnt werden; eher die Innovationskultur. Wie kann Innovation noch gezielter unterstützt werden? Hier kommt die Innovationskommunikation ins Spiel. Innovationskommunikation, das ist das Kommunizieren neuer Ideen, Konzepte, Produkte, Dienstleistungen und Prozesse die sich von jenen unterscheiden die bereits existieren. Dabei ist Innovationskommunikation nicht nur ein kritisches Merkmal für den Erfolg von Innovation, sondern eine Bedingung für Innovation an sich:

    “The lonely innovator is a myth. Solo innovation does not exist. Unlike invention, it’s a team sport. Working in solitude may lead to invention, but not onnovation because it requires communication with others.”

    Alex Goryachev, Forbes Council Member

    Wenig überraschend ist Goryachev’s Schlussfolgerung, dass Innovation dann erfolgreich ist, wenn auch die Kommunikation an ihrem Höhepunkt ist. Also wenn Ideen, Konzepte, Produkte, Dienstleistungen und Prozesse in möglichst diversen Teams derart geteilt und einverleibt wurden, dass alle am Innovationsprozess Beteiligten bewusst ist, dass sie mit der Innovation Veränderung herbeiführen können. Die Auftragslage ist unbestritten; Tipps und Empfehlungen für das Kultivieren von Innovationskultur gibt es zur Genüge und in allen Formen. Zum Beispiel hier, hier oder hier. Manche davon sind fast peinlich banal.

    Grenzen der Innovation

    Eine umfassende und vielschichtige Aufarbeitung des Innovationsbegriffes findet sich im von Benoit Godin im Routledge Verlag publiziertem Buch “Innovation Contested: The Idea of Innovation over the Centuries”. Godin beginnt seine Reise zum Thema bei den antiken Griechen und thematisiert davon ausgehend nicht nur die Erfolge, sondern vor allem auch die Widerstände, die Innovationen immer wieder erfahren und überwinden musste. Auf Google Books waren nur Ausschnitte des Buches frei zugänglich; das Lesen der entsprechenden Stellen hat aber Spass gemacht. Godin thematisiert die Rollen von Glauben und Kirche, ebenso wie von den anfänglichen Schwierigkeiten in der Kollaboration von Universitäten und Unternehmen.

    Bild von Pavlo auf Pixabay

    Den Grenzen von Innovation und der ihr zugeordneten Kommunikation widmen sich auch Ronald C. Beckett und Paul Hyland. In ihrem Essay argumentieren die beiden, dass Innovation vor allem dort geschieht, wo es Reibungen gibt. Diese Reibungen, einst als Hemmnis wahrgenommen wurden, müssen überwunden werden eine kommunikative Herausforderung. Die Antwort der Autoren auf die Herausforderung scheint mir zu konventionell, bzw. zu wenig explizit. Das Anpassen der Strukturen die Innovationsprozesse beherbergen. Ok, aber: ist das alles?

    Innovationskommunikation am Limit. Oder: Conscientization

    Conscientization ist ein von Paulo Freire entwickeltes Konzept, das die Befreiung von Menschen durch Bildung beabsichtigt. Die Menschen sollen ihre eigene Realität erkennen und verstehen lernen, um dann zu beurteilen wie Neues ihr Leben verändern kann. Man könnte das so lesen, als ob Erkennen und Verstehen Menschen auf die Teilnahme in Innovationsprozessen vorbereiten würde. Eine Einführung zum Begriff, der auch als kritisches Bewusstsein Eingang in die Literatur gehalten hat, findet sich auf Wikipedia. Wer das Grundgerüst von Freire’s Denken besser verstehen möchte, dem seien die 8 Minuten 14 Sekunden “An Incredible Conversation” mit Paulo Freire nahegelegt.

    Na bravo: jetzt sind wir bei postmarxistischem Denken für Innovationskultur und -Kommunikation angelangt.

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    Die Anwendung von Conscientization inspirierten Innovationsprozessen hat jedenfalls nach einer ersten Hochphase in den 1980er Jahren, zuletzt wieder zugenommen: Karin Berglund und Johannson argumentieren für eine Stärkung des ländlichen Raums durch eine auf Conscentization beruhende Innovationskultur bei kleinen Unternehmen. Juan Díasz Bordavene et al. heben die Notwendigkeit der Integration südamerikanischer Bäuer*innen in den Innovationsprozess durch Conscientization hervor, um für die Region nachhaltige Lösungen zu entwickeln. Hsu Meng-Jun et al. dokumentierten die für viele lebensrettende Beschleunigung von Innovationsprozessen ausgehend von einer gemeinsamen und geteilten, der kritischen Conscientization entsprechenden Weitergabe von Wissen.

    Am Wendepunkt

    Eigentlich wollte ich hier kein Pamphlet schreiben. Am Ende ist es doch eines geworden. Mein Punkt ist, dass es, so wie alle mit Innovation beauftragt zu sein scheinen, an der Zeit ist, der Betriebswirtschaft entstammende Ansätze der Innovationskommunikation zu überdenken. Beginnen sollten wir mit der Frage, wer am Prozess beteiligt sein soll. Und dann welche Sprache es allen ermöglicht sich adäquat auszudrücken. Wenn das Malereien sind, dann ist das ebenso legitim wie Besuche im Feld, Gespräche oder Lego-Sessions bei denen ein Team sich spielerisch über Innovation austauscht. Lasst uns neue Ideen ausprobieren; auch in Entwicklungsabteilungen in denen nur vermeintlich alle dieselbe Sprache sprechen.

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    RL #028: Der technologische Fortschritt wird’s schon richten, oder nicht?

    In unseren Projekten bei Oikoplus kommunizieren wir Wissenschaft und Forschung. Dabei geht‘s um neue Technologien und häufig auch um das Versprechen, durch ihren Einsatz große Herausforderungen der Gegenwart, in den Griff zu bekommen. Technologie löst Probleme. Dafür wird sie schließlich entwickelt. Klar. Aber sollten wir uns als Gesellschaft wirklich auf Technologie verlassen, wenn es darum geht, die großen Probleme unserer Zeit zu lösen? 

    Erst gestern wurde der neue Klimabericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) veröffentlicht, der einmal mehr vor drastischen Klimawandel-Folgen gewarnt, die sich noch dazu verschärfen. Können Erfindungen der Schlüssel im Kampf gegen den Klimawandel sein? Treibhausgas-Emissionen sind schließlich selbst eine Folge industrialisierter Prozesse, die einmal als technologische Innovationen galten. 

    Vielleicht lenkt der optimistische Blick in die technologische Zukunft bloß davon ab, dass die Problemlösung längst in der Gegenwart stattfinden könnte? Und vielleicht besteht die wahre Problemlösung in die vielen Bereichen eher aus weniger, statt aus mehr Technologie? Steckt hinter Techno-optimism am Ende oft vor allem Greenwashing? Diesen Fragen geht der Techtonic Podcast der Financial Times in einer hörenswerten Folge aus dem November 2022 nach. 

    So stellen sich die Algorithmen des KI-Tools Midjourney Technologie vor, die dabei hilft, die Klimakrise zu lösen.

    Technikoptimismus, Überoptimismus und Macht 

    Ebenfalls im November 2022 hat sich Elizabeth Zhu dem Thema tech-optimism gewdimet, in einem opinion piece auf stanforddaily.com, einem Nachrichtenportal, das von Studierenden der Standord University betrieben wird. Die Universität im kalifornischen Palo Alto gilt als der Hochschul-Campus des Silicon Valley. Die Region ist nicht gerade dafür bekannt, Zukunftstechnologie ablehnend gegenüberzustehen. Zhu stellt fest, dass Unternehmen wie der Facebook-Mutterkonzern Meta selbst nach Skandalen wie Datenlecks oder der Verbreitung russischer Desinformationen als attraktive Arbeitgeber mit einer großen Vision menschlicher Vernetzung wahrgenommen werden. Dieser optimistischer Blick auf Technologie führt laut Zhu zu einem spezifischen Problem: Je mehr Menschen davon ausgehen, dass in Zukunft carbon capturing oder cloud brightening unser Klimaproblem lösen werden, desto stärker werden die systemischen Ursachen des Klimawandels wie der industrielle Abbau fossiler Brennstoffe übersehen.

    Werden technologische Lösungsansätze systematisch als Ablenkung von Problemursachen benutzt? Einen guten Einstieg in die Beschäftigung mit dieser Frage bietet der Text Over-Optimism in Technology and the Promotion of the Powerful Man von Sofia Ribeiro und Viriato Soromenho-Marques, die an der Universität Lissabon forschen. Sie verwenden analog zum Greenwashing den Begriff des Technowashings. Dabei würde von politischen Akteuren bewusst alle gesellschaftliche Hoffnung in Richtung Technik und Naturwissenschaft gelenkt, um den Anschein zu vermitteln, dass bereits an Lösungen gearbeitet wird. Genau dieses Technowashing ermögliche es, die Dringlichkeit robuster, integrierter, ethischer, gerechter und multidisziplinärer Maßnahmen und Politiken aufzuschieben.

    Und noch eine mit Midjourney kreierte visuelle Tech-Utopie.

    Techno-solutionism vs. techno-criticism

    Einen weiteren hübschen Begriff, nämlich techno-solutionism, verwendet Harry Surden in einem Symposien-Beitrag im Yale Journal of Regulation. Surden stellt fest, der techno-soultionism tendiere dazu, Technologien wie die künstliche Intelligenz zu verherrlichen und sie unrealistisch als einfache Lösungen für die viel komplexeren, systemischen Probleme in der Gesellschaft darzustellen. Gleichzeitig neige aber die Technikkritik zu einer Überbetonung der negativen Aspekte von Technologien, indem sie sich entweder übermäßig auf potenzielle zukünftige Probleme konzentriert, die auftreten können – oder auch nicht, oder indem sie unverhältnismäßig stark die Grenzfälle hervorhebt, in denen eine Technologie problematisch ist, während sie andere Bereiche übersieht, in denen sie schrittweise signifikante gesellschaftliche Verbesserungen bringt.

    Bei Oikoplus bemühen wir uns in all unserer Projekt-Kommunikation, nicht so zu tun, als würden die Projekte abschließende Antworten auf drängende Fragen liefern. Denn jedes unserer Projekte ist stets nur einer von vielen Beiträgen zur wissenschaftlichen Bearbeitung großer Herausforderungen. Wir sind überzeugt, dass Technologie immer einen entscheidenden Beitrag leisten kann. Aber am Ende sind es Menschen, die Technologien einsetzen. Deshalb liegen die großen Antworten im menschlichen Verhalten, und nicht in der Technologie selbst. Das gilt nicht erst in der Zukunft, sondern auch in der Gegenwart.