Nachdem wir zuletzt vermehrt über Readings zu Metathemen wie Common Sense und Relatability in der Wissenschaftskommunikation berichtet haben, beschäftigt sich diese Ausgabe mit dem Newsletter. Anachronistisch? No Front, aber aus der Zeit gefallen sind nur die Newsletter in Schreibmaschinenschrift formatiert vom E-Mail-Programm. Vieles hat sich getan. Auch wenn Google Trend anzeigt, dass Newsletter als Suchbegriff den Plafond erreicht haben, gibt es gute Gründe den einst wichtigsten Kommunikationskanal wieder ernster zu nehmen.
Trendumkehr beim Newsletter
Newsletter liegen im Trend. Und das kommt nicht von ungefähr, weiß Catalina Schröders vom Journalist. Den neuen Hype gibt es, weil sich mit elektronischen Rundschreiben nun Geld verdienen lässt. Als Beispiel nennt Schröders den Newsletter Heated von Emily Atkin. Dort schreibt die unabhängige Autorin über Umweltthemen und erzielt jährlich 6-stellige Umsätze. Seit die Anbieter zum Erstellen von Newslettern den Autor*innen einfache Designs zur Verfügung stellen und den Zahlungsvorgang abwickeln, haben sich neue Geschäftsmodelle entwickelt.
Ein zweiter Grund warum immer mehr, vor allem unabhängige Autor*innen ihren eigenen Newsletter gründen betrifft die Kanäle für die viele von Ihnen in den vergangenen Jahren schreiben mussten und durften. Bobby Allyn führt in seinem Beitrag auf NPR aus, dass die Journalist*innen dieser Welt wieder weniger für Algorithmen optimiert, sondern für ihre Leser*innen schreiben wollen. Ob das mehr Spaß macht? Sicherlich! Ob es nachhaltig ist? Unter Umständen. Die Gefolgschaft muss groß genug sein.
Zwischen einem eigenen Newsletter und Contributed Content liegen Welten. In vielen Projektanträgen steht der projekteigene Newsletter im Antragstext. Newsletter-Anbieter publizieren jedenfalls regelmäßig ihre Hands-on Anleitungen. Die meisten bieten Video-Tutorials an. Relativ einfache und doch umfassende Einleitung in Textform gibt es hier und hier. Wir freuen uns von euch zu lesen!
Vom Gemeingut in Theorie und Praxis, in Straßenverkehr und Impfstoffentwicklung – und im Film.
Diese Oikoplus Reading List kommt nicht wie gewohnt zur Monatsmitte, sondern mit etwas Verspätung. Denn das Team von Oikoplus war schwer beschäftigt. Im Rahmen von Sustainication – Verein für Wissenschaftskommunikation und Nachhaltig, haben wir ein Partnermeeting im Projekt ArcheoDanube im neuen Wiener Sonnwendviertel organisiert.
Da blieb wenig Zeit für Schreiben einer Reading List. Aber wo wir ein Paar Tage lang im angenehm verkehrsarmen Neubauviertel zu Gast waren, fiel uns einmal mehr auf, wie sonderbar unsere Städte den Raum, den sie bieten, verteilen.
Finden Sie es nicht auch immer wieder aufs Neue kurios, wieviel Platz dem Auto in unseren Städten eingeräumt wird? Natürlich könnte es sein, dass die Verkehrsplanerinnen und -Planer vergangenen Jahrzehnte gar nicht geahnt haben, dass es einmal so viele Autos geben würde, wie heute. Unmengen von Platz für den Autoverkehr vorgesehen, haben sie trotzdem. Das Auto prägt dadurch die Vorstellung, die Menschen vom städtischen Raum haben. Und das spiegelt sich kulturell zum Beispiel im Film. Mehr noch, meint der Historiker Janosch Steuwer: “Vor allem der Film bildet aus unterschiedlichen Gründen einen natürlichen Verbündeten bei der Verbreitung wirklichkeitsferner Bilder des Autoverkehrs”. In einem lesenswerten Artikel im schweizer Online-Magazin ,Geschichte der Gegenwart’ widmet er sich filmischen Bildern des Autoverkehrs.
Die Frage, wieviel öffentlichen Raum die Gesellschaft dem motorisierten Individualverkehr einräumen sollte, berührt immer wieder auch das Konzept der Commons, also der Gemeingüter. Wieviel Raum soll öffentliches Gemeingut sein, wieviel Raum soll privatisierbar sein, und was ist ein fairer Preis dafür? Dem angespannten Verhältnis von Commons und Kapitalismus widmet sich Thijs Lijster in einem Beitrag, der auf Eurozines zu lesen ist. Darin gibt er einen Überblick der Debatte zur Frage: Was sind commons, und was macht sie dazu?
An einem ganz konkreten Beispiel macht das Magazin Jacobin das Spannungsfeld zwischen Privatisierung und Vergesellschaftung deutlich, und zwar anhand der enormen Gewinne aus dem Covid-19-Impfstoffen. Da dieser Artikel leider nur in deutscher Sprache erschienen ist, für die englischen Leser*innen der Reading List hier ein Link zu einem englischen Artikel zum Thema aus der US-Ausgabe von Jacobin.
Die Frage danach, was wem “gehört” ist natürlich nicht bloß ein juristische von Besitz und Eigentum, sondern auch eine soziale Frage von Zugang, Beteiligung und Verfügbarkeit. Besonders deutlich wird das am Eingang erwähnten Beispiel des Verkehrsraums. Der Mosaik Blog hat zu den sozialen Aspekten des Straßenbaus einen Artikel publiziert, dessen Dichte an Zahlen und Fakten beeindruckend ist. Hier geht es ja schließlich um Wissenschaftskommunikation.
Und um den Bogen zur Wissenschaftskommunikation noch ein bisschen weiter zu spannen: Wissenschaft hat – wenn auch nicht immer – an sich selbst den Anspruch, gesellschaftliche commons zu produzieren. Das Commons-Institut, ein Netzwerk von Menschen aus Forschung, Lehre und Praxis hat sich dem Prinzip des Commonings bzw. des Nachdenkens darüber verschrieben. Auf seiner Website verlinkt das Institut immer wieder lesenswerte Artikel rund ums Thema commons.
Bis zur nächsten Reading List. Dann hoffentlich wieder pünktlich.
Kommunikation gelingt, wenn sie Verbindungen erzeugt.
Ich habe wenig Ahnung von Mechanik und Physik war nur für sehr kurze Zeit eines meiner liebsten Schulfächer. Ob ich das Fach mochte, hing immer ganz vom Lehrer ab, und davon, wie gut er es vermittelte. Neulich sah ich ein Youtube-Video, in dem es ausschließlich um Mechanik ging, und zwar um Differentialgetriebe. Und ich fand es großartig.
Bei dem Video ist es, wie bei den Physiklehrern meiner Schulzeit: Die richtige Vermittlung kann Begeisterung für ein Thema schaffen. Wenn Begeisterung oder zumindest ein gesteigertes Interesse für ein Thema geweckt wird, entsteht eine Verbindung. Und um diese Verbindung, diese Relation, geht es in der Wissenschaftskommunikation. Ihr Ziel sollte sein, Verbindungen zur Wissenschaft herzustellen, also relatable zu kommunizieren.
Jan Baetens nähert sich dem Konzept der Relatability in einem Beitrag zum Blog der Cultural Studies der Uni Leuven. Der Blog hat übrigens den schönen Claim “Blogging since 1425”. “Something is relatable when it can be retold”, schreibt Baetens, “but that is just the first and oldest meaning of the word. Today, relatable also defines works that someone (a reader, a listener, a spectator) can “relate to”.
Jenem aktuellen Begriff der Relatability begegnet man meist dort, wo fiktionale Inhalte besprochen werden. Im feuilletonistischen Zusammenhang wurde der Begriff 2014 von Rebecca Mead im New Yorker diskutiert, und zwar recht kritisch. Mead ist der Ansicht, man könne vom Kulturpublikum ruhig erwarten, dass es eine Verbindung zum präsentierten Inhalt selbst herstelle, und dass die Kritik, etwas sei nicht relatable genug, keine wirklich legitime Kritik an Inhalten sei.
Für die Kunst und die Kritik daran, mag das stimmen. Wissenschaftskommunikation, die für das Publikum nicht relatable ist, hat ihr Ziel verfehlt, könnte man argumentieren.
Wissenschaftskommunikation, die für das Publikum nicht relatable ist, schafft es nicht, die Relevanz eines Themas zu zeigen. Sie schafft es bei ihren Empfängerinnen und Empfängern nicht, das Gefühl auszulösen, vom Thema betroffen zu sein, damit in enger Relation zu stehen. Zum Glück bietet das Internet jede Menge Tipps rund ums Erzeugen von Relatability. Zum Beispiel von Joe Lazauskas auf der Plattform Contently.
Einen ähnlich pragmatischen und kommerziellen Zugang zu Relatability in der Kommunikation(sarbeit) hat ein Beitrag von Ton Dobbe auf seiner Website Value Inspiration. Dobbe arbeitet als “Growth consultant for Tech-Entrepreneurs”. Für ihn geht es beim Schaffen von relatable content um Menschlichkeit. “A good start is to be more human in how we communicate with our ideal target audience. Like we’re having a conversation over a cup of coffee.” Ist das der Ratschlag zum Plauderton? Und ist der in der Wissenschaftskommunikation wirklich hilfreich? Hier und da bestimmt.
Auch Relatability ist vergänglich. Das findet zumindest Amil Niazi im Hinblick auf die US-Fernsehshow von Ellen DeGeneres in einem Opinion Piece in der New York Times. Die lange sehr erfolgreiche TV-Show wird demnächst eingestellt. Niazi sieht für die schwindene Beliebtheit der Show eine Ursache: “There’s no question, in the end, that Ms. DeGeneres has had an incredibly successful run as an effervescent daily TV presence for many Americans. But she also serves as a reminder that even the most relatable celebrities are still putting on an act, still trying to sell us on an image.” Die Moderatorin sei für ihr Publikum zwar sehr relatable gewesen. Doch ein paar öffentliche Skandale hätten dafür gesorgt, dass die Relationen Risse bekommen haben. In der Kommunikation geht es eben immer auch um Glaubwürdigkeit.
Das Video über Differentialgetriebe vom Anfang dieses Texts hat mir auf simpelste Weise veranschaulicht, was ein Differentialgetriebe ist, wann es zum Einsatz kommt, wo es eingebaut wird, weshalb es wichtig ist und wie es funktioniert. Um was, wann, wo, weshalb und wie geht es in der Wissenschaftskommunikation ständig. Unterschiedlichen Zielgruppen die richtigen Antworten auf diese Frage zu liefern, darauf kommt es bei Relatability an. Die Texte, die in dieser Reading List verlinkt sind, haben das in meinem Fall geschafft. Sie waren für mich relatable. Ich hoffe, den Leserinnen und Lesern dieser Reading List geht es ähnlich.
Wer erinnert sich noch an illustrierte Bände über Dinosaurier? Mit ledrig schuppiger Haut blickt ein T-Rex den meist jungen Leser*innen vom Titelbild in die Augen. Das Maul stets geöffnet, so dass die Zähne durchblitzten. Wer sich traute, tiefer in die Welt der Dinosaurier einzutauchen, wurde von eigenartigen Kreaturen überrascht, von denen es hieß, dass sie einst unsere Erde bevölkert haben. Manche der abgebildeten Reptilien ähnelten Delphinen, andere hatten die Gestalt von Vögeln. Sie flogen durch die Lüfte des Bildbands. Besonders gut sind mir die Dinosaurier zu Land in Erinnerung: der Brachiosaurus mit seinem langen Hals, der Stegosaurus mit den vielen Kacheln am Rücken und der Allosaurus als kleiner, flinker Artverwandter des Tyrannosaurus. Knapp 25 Jahre nach meiner ersten Auseinandersetzung mit Dinosauriern, zog neulich ein Meme meine Aufmerksamkeit auf sich. Es fragte: Was, wenn Dinosaurier pelzig waren?
Bildband: Erkenntnisgewinn oder Kompensation textbasierter Kommunikationsschwäche
Ich kannte Dinosaurier vor allem illustriert, schließlich hatte ich meine Dino-Phase als Kind, das keine langen Texte lesen konnte. Das bringt uns auch zum Dilemma des Bildbandes: Brauchen wir Bilder nur bis wir die Worte kennen, um ein Phänomen zu beschreiben? Hervorragend diskutiert von Nicola Mößner und hier zum Nachhören, erörtert die Philosophin die potentiellen Rollen visueller Darstellungen im Erkenntnisprozess. Für Kinder ist die Frage weniger umstritten: Patricia Sigg argumentiert im online Magazin element-i, dass bei der Betrachtung von Bilderbüchern neben der wissensorientierten Erkenntnis, eine weitere, ästhetische Erkenntnis dazukommt. Die ästhetische Erkenntnis umfasst die sensorische, kognitive, emotionale und soziale Wahrnehmung eines Objekts. Achten Sie auf ihre ästhetische Erkenntnis, wenn sie die hier gesammelten, großartigen Beispiele für beeindruckend illustrierte Wissenschaftsbände durchblättern!
Relationale Wahrheit: Seien wir uns nicht sicher
Ein zweiter Aspekt, den die Forschung über die Fluffigkeit von Dinosauriern ans Tageslicht bringt, betrifft die absolute Wahrheit wissenschaftlicher Aussagen. Wissen ist nicht statisch: es wird geformt und behält Gültigkeit nur in anerkannten Systemen. Inwiefern war es für die Illustratoren meines Bildbandes vorstellbar, einen Dinosaurier im Pelz zu zeichnen, kuschelig weich? Wissenschaft sei mehr Vorstellungskraft als Resultate meint zum Beispiel Tom McLeish im Online Magazin Aeon. Pointierter und kürzer beschreibt Arno Frank im Fluter fünf wahre Einsichten, die ausgehend vom Höhlengleichnis die Relationalität von Wissen und absolute Unwissenheit auch in vermeintlich faktenbasierten Wissenschaften bestätigen. Eventuell fehlten den Illustratoren meines Bildbandes Vorstellungskraft und Wissen, um einen pelzigen, fluffigen Dinosaurier zu ersinnen.
Das fluffige Dinosaurier-Meme hat jedenfalls seinen Dienst getan. Es hat mich gezwungen nachzusehen und meine eigene Imagination von Erkenntnissen und Wissen aus dem Fachbereich der Paläontologie zu relativieren. Es hat mich dazu bewegt, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Wenn Meme’s das Erzielen, sollten wir sie nutzen. Wie? Inspiration gibt’s unter anderem auf Pinterest.
„Holt euch einen Tee, Freunde der Sonne, macht es euch gemütlich – Zeit für Science!“ Damit wirbt der deutsche YouTube-Kanal Mailab für Themen aus Bereichen der Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Mit Erfolg: Mailab hatte im Juni 2021 1,3 Millionen Abonnent*innen erreicht. Von der Frage, was Netflix über uns weiß und welche Fakten zum Klimawandel belegt sind, bis zur Wirkung von Kurkuma auf den menschlichen Organismus: so wie in der Wissenschaft ist für Mailab keine Frage zu klein oder zu groß, zu komplex oder zu einfach. Witzig, evidenzbasiert, anregend und präzise erzählt: der Kanal ist nur eines von vielen zukunftsweisenden Beispielen dafür, wie Wissenschaft breit und sinnvoll wirken kann. Wie wird sich die Wissenschaftskommunikation weiter entwickeln? Welche Trends und Perspektiven zeichnen sich ab? In welche Richtung kann und soll es gehen?
Social Media als akademische Non-Stop -Tagung
Beginnen wir mit dem offensichtlichsten: den Möglichkeiten, die durch soziale Medien entstehen und noch entstehen werden. In einem Artikel in Nature beschreibt es der Wissenschaftskommunikator Jens Foell so: “Social media science communication is a nonstop academic conference for all“. Die These: Wissenschaftskommunikation in sozialen Medien erfüllt heute alle Funktionen von klassischen akademischen Tagungen. Die bieten einen Rahmen für schnelle Kommunikation und Austausch, sind wichtige Knotenpunkte für soziale Interaktionen, wobei unter den Forscher*innen oft lebenslange Freundschaften und professionelle Kooperationen entstehen, und dienen Wissenschaftsjournalist*innen dazu, sich über die neuesten Entwicklungen zu informieren und der breiten Öffentlichkeit darüber zu berichten. Heute posten Forscher*innen Laborgeräte auf Instagram, Methoden-Tutorials auf YouTube, Kommentare auf Twitter. Sie beantworten Fragen auf ResearchGate und fassen ihre Ergebnisse auf TikTok zusammen. Das gesamte Spektrum des persönlichen und fachlichen wissenschaftlichen Austauschs, der sonst auf akademischen Konferenzen stattfindet, hätte sich online entwickelt, so Foell. Mit einem markanten Unterschied: Die Öffentlichkeit, die traditionell von wissenschaftlichen Tagungen ausgeschlossen ist, hört, liest und schaut mit. Und nicht nur das: Da die sozialen Medien darauf ausgelegt sind, Interaktion zu ermöglichen, kommentieren viele der Zuhörer*innen und stellen Fragen.
Bewerten, vergleichen, eigene Inhalte generieren
Wer der Sache wissenschaftlich fundiert näher kommen will: In der aktuellen Ausgabe des Journal of Science Communication (Volume 20, 2021) gehen die Kommunikationsforscherin Monika Taddicken und die Sozialpsychologin Nicole Krämer der Frage nach, wie Laien über Online-Medien mit wissenschaftlichen Informationen in Kontakt treten. In ihrem Paper “Public online engagement with science information: on the road to a theoretical framework and a future research agenda“ beschreiben sie, wie Internettechnologien und insbesondere soziale Medien die Wissenschaftskommunikation drastisch verändert haben. Die Öffentlichkeit konsumiert nicht mehr nur wissenschaftsbezogene Informationen, sondern beteiligt sich aktiv (z. B. durch Bewertung und Verbreitung) und generiert ihre eigenen Inhalte. Gleichzeitig sind Wissenschaftler*innen nicht mehr von Journalist*innen als Gatekeeper für die Verbreitung relevanter Informationen abhängig. Das Paper reflektiert relevante theoretische Stränge, und diskutiert eine neue Wissensordnung samt Akteur*innen. Einer, der Video als wichtigstes visuelles Kommunikationsmittel der Zukunft sieht, ist der US-amerikanische Agrarforscher Eric B. Brennan. Sein Artikel „Why Should Scientists be on YouTube? It’s all About Bamboo, Oil and Ice Cream“bietet Antworten auf praktische Fragen und eine Reflektion dazu, warum es sich auszahlt, wenn Forscher*innen sich zu Videograph*innen ausbilden – unter anderem um die eigene Kommunikationsfähigkeit zu verbessern und Fehlinformationen zu reduzieren. Ein wissenschaftlicher DIY-YouTuber zu werden, kann aus diesem Blickwinkel eine unterhaltsame, kreative, lohnende und erfüllende Tätigkeit sein, die auch viele Aspekte der Karriere eines Wissenschaftlers, einer Wissenschafterin verbessern kann.
Von brennenden Häusern und der Arbeit nah an den Menschen: neue Werte und Dialogformen
Was sich in vielen der Youtube-Videos jenseits der schlauen „Sendung mit der Maus“- Vermittlung auch zeigt, ist die stärker werdende soziale Eingebundenheit der Wissensproduktion und ihrer Vermittlung. In ihrem soeben erschienen Buch „Getting to the Heart of Science Communication: A Guide to Effective Engagement“erzählt die Klimaforscherin Faith Kearns dazu eine im doppelten Sinne brenzlige Geschichte: Bei einem Gemeindefeuerwehrtag in einer nordkalifornischen Stadt hielt die Autorin einen Vortrag über den Bau brandsicherer Häuser, die den immer häufiger auftretenden Waldbränden standhalten können. Dabei wurde sie mit einer Zuhörerin im Publikum konfrontiert, deren Haus kürzlich abgebrannt war. Wie Kearns finden sich Wissenschaftler*innen, die an kontroversen Themen arbeiten – vom Klimawandel über Dürre bis hin zu COVID-19 -, immer häufiger inmitten von zutiefst traumatisierenden oder polarisierenden Konflikten wieder. Sie müssen nicht nur Expert*innen in ihrem Fachgebiet sein, sondern auch im Umgang mit den Gedanken, Gefühlen und Meinungen der Öffentlichkeit, mit der sie zu tun haben. Ihre Werkzeuge für Kommunikation: Zuhören, Arbeit mit Konflikten und Verständnis für Trauma, Verlust und Heilung. Sie schließt das Buch mit einer Diskussion über Vielfalt, Gleichberechtigung und Inklusion in der Wissenschaftskommunikation ab.
Ein Blick in die Vergangenheit hilft dabei, Perspektiven für die Zukunft zu entwickeln: in seinem Beitrag „Wissenschaft als Belehrung“ geht der österreichische Biologe und Sozialwissenschafter Franz Seifert der Frage nach, welche Wandlungen das Verständnis von Wissenschaftskommunikation in den letzten Jahrzehnten durchgemacht hat. Er spannt den Bogen vom einflussreichen „Bodmer Report“, herausgegeben von der ehrwürdigen Royal Society Mitte der 1980er Jahre in Großbritannien, der erstmals den von den Forschungseliten beklagten Verfall wissenschaftlicher Autorität zum gesellschaftspolitischen Problem erklärte, über das Defizitmodell – die Menschen wüssten nicht genug im Sinne von fehlender Information – bis zur Metapher des „Dialogs auf Augenhöhe“, die in den 2000er Jahren neue Benimmregeln für die Wissenschaft mit sich brachte: nämlich Besserwisserei und Überlegenheitsdünkel abzulegen und nicht nur ehrlich zu sprechen, sondern auch ehrlich zuzuhören. Conclusio: Informationsmangel sei nicht das Problem, vielmehr geht es in Zukunft darum, das Reflexions- und Urteilsvermögen zu stärken.
Es wird also auch in Zukunft für Wissenschaftskommunikator*innen um viel mehr gehen geht also um mehr als informieren, beraten und vermarkten. Für die neuen Herausforderungen braucht es ein unterstützendes institutionelles Umfeld – oder, wie es die deutsche Denkfabrik #FactoryWisskomm nennt: eine wisskomm-freundliche Kultur. Wie sich die aufbauen lässt, dazu haben 150 Teilnehmer*innen in den letzten Monaten gearbeitet und neue Ideen und Werkzeugen entwickelt. Am 23. Juni 2021 werden die Empfehlungen der Öffentlichkeit vorgestellt. Die Veranstaltung aus dem Sauriersaal des Museums für Naturkunde Berlin wird per Livestream übertragen.
Aus unseren Projekten
Eine Kernbotschaft aus dem Projekt ArcheoDanube, an dem Oikoplus gemeinsam mit dem Verein Sustainication e.V. beteiligt ist: die lokale Bevölkerung in die Entwicklung archäologischer Stätten zu integrieren. Nach einer erfolgreichen Konferenz mit Teilnehmer*innen aus 12 Ländern geht es jetzt um die Umsetzung der innovativen Ansätze des Projekts. Mehr dazu und einen Überblick über die beteiligten archäologischen Stätten gibt es im aktuellen Projekt-Newsletter.
Im Projekt SYNCITY ist die Toolbox „Transform – Urban Governance in Action mit Hands-On Ideen und Inspiration für partizipative und nachhaltige Stadterneuerung jetzt fertig. Wir haben den Produktionsprozess geleitet, sie redaktionell bearbeitet, und Texte und Visuals beigetragen. Mehr zu der Publikation hier. *Am 21. Juni organisieren wir in Kooperation mit Oikodrom – The Vienna Institute for Urban Sustainability rund um die Toolbox eine Online Exchange Conference, das genaue Programm ist hier zu finden Wir freuen uns auf Austausch und Inspiration!
Im Horizon 2020 Projekt EnergyMEASURES, in dem wir betroffenen Haushalten dabei helfen, aus der ,Energiearmut’ zu entkommen, gibt’s ebenfalls Neues. Auf der Projekt-Website und den Social Media Channels des Projekts, die von Oikoplus betreut werden, liefern wir regelmäßige Updates rund um das Thema Energieverbrauch im Haushalt. In Interviews mit Expertinnen und Experten erkunden wir Wege, Haushalte in Europa beim effizienten Nutzen von Energie zu unterstützen. Neuigkeiten finden sich unter energymeasures.eu.
Im Nachruf auf einen Feuilleton-Journalisten war einmal zu lesen, dass der gerade Verstorbene als junger Autor die Aufgabe hatte, ein philosophisches Werk zu rezensieren. Sein Ressortchef habe damals die fertige Rezension gelesen und gesagt: “Wunderbar. Aber schreiben sie es doch bitte so, dass diese philosophischen Gedanken jeder versteht.” Darauf soll der junge Journalist geantwortet haben: “Das kann ich machen. Aber dann sind es keine philosophischen Gedanken mehr.” Eine schöne Anekdote. Für die Einen illustriert sie den Bildungsdünkel junger Geisteswissenschaftler, für die Anderen bringt sie genau auf den Punkt, was das Schwierige an der Kommunikation komplexer Inhalte ist: Nämlich, dass sie nicht immer jedem verständlich zu machen sind, ohne sie zu banalisieren. Dieses Problem stellt sich gerade in der Wissenschaftskommunikation ständig – aber auch in anderen Bereichen.
Das Problem kennen viele Journalisten, Texter und Pressearbeiter. Den Mittelweg aus fachlicher Komplexität, sachlicher Angemessenheit und Lesbarkeit zu treffen, ist nicht leicht. Wenn es um das Vermitteln komplexer Inhalte geht, lassen sich klare Aussagen wunderbar hinter komplexen Sätzen und Fremdwörtern verstecken. Und manchmal werden komplexe Formulierungen auch genutzt, um zu verschleiern, dass es eigentlich um Gemeinplätze geht – nur eben in wissenschaftlichem Kontext. „Und doch ist nichts leichter, als so zu schreiben, daß kein Mensch es versteht; wie hingegen nichts schwerer, als bedeutende Gedanken so auszudrücken, daß Jeder sie verstehn muß.” wusste Arthur Schopenhauer über Schriftstellerei und Stil.
Dass Wissenschaft überhaupt dazu angehalten ist, ihre Inhalte verständlich zu vermitteln, ist keine Selbstverständlichkeit und historisch betrachtet ein eher junges Phänomen. Erst seit der Jahrtausendwende werde verstärkt über die Öffentlichkeit der Wissenschaft diskutiert, schreibt Stefan Bauernschmidt in einem lesenswerten Beitrag Zur Kartierung zentraler Begriffe in der Wissenschaftskommunikationswissenschaft. „Dies verläuft in etwa parallel zur großangelegten Verlagerung von einem Public Understanding of Science (PUS) zu einem Public Engagement in Science (PES). Es ist eine Vergesellschaftung der Wissenschaft, die mit dem Begriff der Öffentlichen Wissenschaft einhergeht . Mit diesem wird darauf Bezug genommen, Bürger an Auseinandersetzungen über strittige Forschungs- und Technisierungsprojekte oder sogar am Forschungsprozess selbst aktiv zu beteiligen .“ Wissenschaft zu kommunizieren wird danach zur demokratierelevanten Aufgabe.
Das Verhältnis von Demokratie und Wissenschaft beschreibt Michael Hagner, Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich in einem Beitrag für Forschung & Lehre als „sich ergänzend”. „Für das Verhältnis von Wissenschaft und Demokratie ist viel gewonnen, wenn sich in den Wissenschaften die Erkenntnis durchsetzt, dass es nicht nur eine esoterische und exoterische Kommunikation gibt, sondern dass es auch in der öffentlichen Kommunikation unterschiedliche Rollen gibt. Esoterische und Exoterische Wissenschaftskommunikation wissen möchte, findet den Beitrag hier.
Wer es eine Spur praktischer mag, dem liefert möglicherweise ein Artikel aus National Geographic ein wenig Inspiration, die Wissenschaftskommunikation mit Humor anzureichern. Es wird darin über eine Studie berichtet, die zeigt, dass die Witze in amerikanischen Late Night Shows durchaus zur Verbreitung von Wissen über Themen wie die Wirkung von Impfungen oder den Klimawandel beitragen können. Die Komplexität von Wissenschaft können allerdings auch die besten Witze nicht auflösen. „Wissenschaft ist komplex. Dies in wenigen Minuten zu vermitteln und dabei Witze zu reißen, kann eine Herausforderung darstellen. Im besten Fall ermutigt Satire die Zuschauer nicht nur dazu, sich mit wissenschaftlichen Themen zu befassen, sondern auch kritisch darüber nachzudenken.”
Damit sich möglichst viele Interessierte mit Wissenschaft überhaupt befassen können, muss nicht die Wissenschaft ihrer Komplexität beraubt werden. Die Sprache, in der man über Wissenschaft spricht, kann man allerdings so wenig komplex wie möglich gestalten. Das Netzwerk Leichte Sprache nimmt sich dieses Themas an und hat eine nützliche Sammlung von Regeln für leichte Sprache erstellt.
Forschung wird gefördert, wenn sie gesellschaftlich relevant ist. Das ist der Zeitgeist. Schon bevor die ersten Ausschreibungen für Forschungsförderungen im Kontext des EU Rahmenprogramms von HorizonEurope überhaupt veröffentlicht wurden ist klar, dass die von den Wissenschafter*innen vorgebrachten Forschungsvorhaben wirkmächtig zu sein haben. Die von der EU geförderten Forschung soll sozialen und ökonomischen Impact haben und wissenschaftlich exzellent sein. Eine eierlegende Wollmilchsau.
Die Beiträge in dieser Reading List setzen sich damit auseinander, wie vor allem qualitativ sozialwissenschaftliche Methoden nachweislich wirkmächtig werden. Weil sie per Definition an der Tiefe und nicht in der Breite interessiert sind, fällt es ihnen nämlich besonders schwer Ergebnisse zu quantifizieren und messbare Wirkmächtigkeit zu argumentieren.
Wirkmächtigkeit bezeichnet zunächst einen Stoß oder Impuls. Im Mittelpunkt steht die Auswirkung. Dieser Anstoß mit Auswirkung kann im Rahmen einer sozialwissenschaftlichen Forschung geschehen und ist dort Teil des Selbstverständnisses geworden. So argumentiert die Redaktion des SOWI Impact Blog der Universität Wien, dass sozialwissenschaftliche Forschung nicht nur Wissen über, sondern vor allem auch für und mit der Gesellschaft produziert. Partizipative Methoden, Forschen auf Augenhöhe und Reflexivität sind vielgenannte Stichworte in der Szene. Auf dem SOWI Impact Blog finden sich eine Reihe an Best Practice Beispielen, die den Impact aufzeigen, ohne die unmittelbare Messbarkeit in den Vordergrund zu stellen.
Messen was passiert: Interaktion und Zusammentreffen
Entgegen dem Ansatz der Universität Wien rücken Wiljan van den Acker und Jack Sapper die Messbarkeit sozialer Wirkungsmächtigkeit für die sozialwissenschaftliche Forschung in den Vordergrund. In ”Productive Interactions: Societal Impact of Academic Research in the Knowledge Society“ argumentieren die Autoren, Wirkmächtigkeit sei das Resultat dynamischer und offener Netzwerkprozesse mit Engagement. Sie entsagen mit der Offenheit der Netzwerke zwar einer linearen Wirkmächtigkeit, wie sie in der Ökonomie bekannt ist, legen aber doch nahe, stellvertretend für Netzwerkknoten Meetings und deren Teilnehmer*innen zu zählen. Aber ist das der Weisheit letzter Schluss?
Zwölf Pfade zur Wirkmächtigkeit
Das Zählen von Meetings und Interaktionen zum Darstellen der Wirkungsmächtigkeit von Forschung überzeugt Reetta Muhonen und ihre Kolleg*innen nicht. Im frisch erschienenen Paper „From Productive Interactions to Impact Pathways“ entwickeln die Autor*innen daher zwölf Typologien von Impact Pathways, die die Voraussetzungen für und die Art der Interaktionen jeweils so in den Vordergrund rücken, dass der Impact selbst ein Ziel hat. Die Interaktion ist der Startpunkt, der soziale Mehrwert das Ziel. Neue Produktionsprozesse, Verhaltensänderung oder neue Argumentationslinien sind Ziele, die außerdem nicht erst am Ende der Forschung erreicht werden. Sich zu verdeutlichen, dass Wirkmächtigkeit konkret und zielgerichtet ist, hilft beim Schreiben von Forschungsanträgen und beim Formulieren angestrebter (Zwischen-)Ergebnisse.
Indikatoren für Wirkmächtigkeit? Phu…
Angewandter stellen sich Elena Louder und ihre Kolleg*innen in einem Artikel veröffentlicht auf dem Impact Blog der London School of Economics die Frage, welche Indikatoren für das Messen von Wirkmächtigkeit in den Sozialwissenschaften Sinn machen. In ihrem Blogpost geben die Autor*innen vier Prinzipien für die Wahl der Rahmenbedingungen und Indikatoren für das Bestimmen von Wirkmächtigkeit sozialwissenschaftlicher Forschung an: die Relevanz von Veränderung im Forschungskontext, die zeitliche Dimension und Art der Wirkmächtigkeit während einer Forschung, die Kapazität, unerwartete Wirkungen einer Forschung aufnehmen zu können, und den Detailgrad wahrgenommener Wirkung. Diese und andere Aspekte sollten auch in Kapiteln rund um die erwartete Wirkmächtigkeit und die Maßnahmen zur Steigerung von Wirkmächtigkeit vorkommen.
Wirkung ja – aber nicht um jeden Preis!
Zu guter Letzt gibt es aber auch eine ganze Reihe an Gründen, sich gar nicht erst weiter mit dem Thema auseinanderzusetzen. Mary K. Gugerty und Dean Karlan argumentieren jedenfalls auf dem Open Access Blog der Northwestern University, dass eine Vielzahl an (Social Innovation) Projekten ohnehin nicht die richtigen Werkzeuge, den richtigen Zeitpunkt oder die notwendigen Ressourcen haben, um die eigene Wirkmächtigkeit in einem Rahmen zu erheben, der für das Projekt selbst, geschweige denn für den Fördergeber einen Mehrwert erzielt. Ein etwas fatalistischer Ansatz, der den Sinn und den Mehrwert unmittelbar wirksamer Wirkmächtigkeit in sozialen Innovationsprojekten in Frage stellt. Was wir von diesem Beitrag lernen können? Unterschätzen Sie den personellen und eventuell auch technischen Aufwand nicht!
Aus unseren Projekten
Im Projekt ArcheoDanube, an dem Oikoplus gemeinsam mit dem Verein Sustainication e.V. beteiligt ist, arbeiten wir aktuell an Empfehlungen für die Gestaltung Archäologischer Parks. Mehr Infos hier.
Im Projekt SYNCITY geht unsere Urban Innovation Toolbox in die Produktion. Infos zum Projekt finden sie auf unserer Projekt Website und den Cureghem Tales.
Im Projekt EnergyMEASURES konnten die pandemie-bedingten Hürden hinblicklich dem in Kontakt treten mit Haushalten überwunden werden. Daten werden gesammelt und auch die Kommunikationsarbeit hat an Fahrt aufgenommen. Hier erfahren Sie mehr über das Projekt.
Kann Fiktionalisierung helfen, Wissenschaft zu kommunizieren? Um die Antwort, die wir hier liefern, abzukürzen: Ja, Fiktionalisierung kann der Wissenschaft dabei helfen, ihre Inhalte und Ergebnisse der Gesellschaft zu kommunizieren. Allerdings ist es nicht ganz einfach, Fiktion dazu sinnvoll einzusetzen.
Dabei hat die Fiktionalisierung eigentlich ihren festen Platz in der Wissenschaft. Als Beispiel, zum Beispiel. Das Höhlengleichnis, Schrödingers Katze, Newtons Apfel – alles Fiktionalisierungen wissenschaftlichen Denkens. Beispiele helfen zu verstehen – indem sie Abstraktes konkret machen und Theoretisches praktisch. Ein gut gewähltes Beispiel, das eine komplexe wissenschaftliche Theorie auflockert, hilft, das Verständnis zu erhöhen. Und es bestätigt die Lesenden in ihrem Textverständnis. Oder auch nicht. Jedenfalls helfen Beispiele, Wissenschaft verständlich zu machen. Und damit dienen sie der Wissenschaftskommunikation.
Wieso betreibt man noch einmal Wissenschaftskommunikation? Die Gründe, Wissenschaftskommunikation zu betreiben, hat der Neurowissenschaftler David M. Eagleman vor Jahren in einem Manifest zusammengetragen. Sechs Gründe identifiziert Eagleman. Die Öffentlichkeit durch spannende, wissenschaftsnahe Fiktion zu unterhalten, ist nicht darunter. Und trotzdem kann Fiktion helfen, ein breites Publikum für Wissenschaft zu begeistern.
Die Meeresbiologin Antje Boetius ist davon überzeugt. Im oft sehr hörenswerten (deutschsprachigen) Podcast „Das Interview” des Berliner Journalisten Philip Banse erklärte sie im Januar, welche Bedeutung fiktionale Unterhaltungsliteratur für die Kommunikation von Wissenschaft haben kann. Ganz konkret machte sie das für ihr Fachgebiet, die Gashydrate der Tiefsee, am Beispiel des Weltbestsellers „Der Schwarm“ des deutschen Autors Frank Schätzing von 2004 deutlich: „Ich weiß gar nicht, ob es überhaupt jemals einen zweiten Bestseller gegeben hat, der die Menschen so mit den Prinzipien des Ozeans und der Gashydrate vertraut gemacht hat. Natürlich war darin viel Action und Romanhaftes. Aber Frank Schätzing, den ich gut kenne, hat unheimlich viel Arbeit in Recherche gesteckt und viele kleine Geschichten, die wahr sind, also Ozeanprozesse, zusammengeknüpft. Dabei entstand natürlich auch Unwahres, zum Beispiel, dass es intelligente, schleimige, blau leuchtende Einzeller gibt, die die Welt regieren und die Wale dazu bringen können, Menschen niederzumachen. Aber nichtsdestotrotz sind viele Einzelbeobachtungen echt. Was der Roman erzeugt hat, war ein breites Verständnis von Gashydraten im Ozean. Das hat ja sogar wirklich dazu geführt, dass Menschen vor der Tsunamiwelle damals in Südostasien gerettet wurden, weil sie den Roman gelesen hatten und wussten, wie es aussieht, wenn ein Tsunami kommt. Das ist einfach grandios. Ich würde als Wissenschaftlerin nie auf fiktive Literatur oder Filme herabblicken, sondern im Gegenteil: Uns Wissenschaftlern fällt es ja oft wirklich schwer, ein Breitenwissen zu erzeugen. So ein Abenteuerroman – wenn er sich Mühe gibt und die Fakten gut zusammenbaut – kann das erzeugen.”
Science Fiction
Wer sich der Frage nach dem Verhältnis von Gesellschaft, Wissenschat und Fiktion einmal grundlegender annähern möchte, dem sei ein Text von Jan Arendt Fuhse empfohlen, der sich mit Science Fiction als Kritische Theorie beschäftigt.
Ficta
Im Jahr 2006 hat der dänische Biologe, Soziokybernetiker und Cybersemiotiker Søren Brier ausführlich mit dem Einsatz von Fiktionalisierung in der populären Wissenschaftskommunikation als Antwort auf die sich verändernden Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation in den Massenmedien beschäftigt. Er untersuchte fiktionale Literatur mit wissenschaftlichem Kern anhand des Romans Jurassic Park von Michael Crichton und prägte gleich einen eigenen Begriff für populäre Literatur, in der es um Wissenschaft geht: Ficta. Der Begriff hat sich allerdings nicht wirklich durchgesetzt.
Nun sind Der Schwarm, Jurassic Park, CSI und viele andere Werke der klassischen Science Fiction keine Formate der Wissenschaftskommunikation, die sich der unterhaltsamen Fiktionalisierung bedienen, sondern unterhaltsame Fiktionen, die sich wissenschaftlicher Motive bedienen. Es gibt jedoch auch Fiktionen, die ganz gezielt auf die Vermittlung von Wissenschaft zielen. Carl Djerassi war hochdekorierter Chemiker, bevor er zum Romanautor wurde. Seinen Weg vom Wissenschaftler zum Romancier und den Unterschied zwischen Science Fiktion und Science-in-Fiction beschreibt er auf dem auf scienceblog.at: „Ich beschloß etwas zu unternehmen, um einem breiteren Publikum die Kultur der Naturwissenschaften nahezubringen, und zwar mit einem Genre dem ich kurze Zeit später den Namen Science-in-Fiction gab. Für mich fällt ein literarischer Text nur dann in dieses Genre, wenn die darin beschriebenen Vorgänge allesamt plausibel sind.
Für die Science-Fiction gelten diese Einschränkungen nicht. Damit will ich keinesfalls andeuten, daß die naturwissenschaftlichen Fantasieprodukte in der Science-Fiction unangebracht wären. Aber, wenn man die freie Erfindung wirklich dazu nutzen will, um einer wissenschaftlich unbeleckten Öffentlichkeit unbemerkt wissenschaftliche Fakten zu Bewußtsein zu bringen – eine Art Schmuggel, den ich intellektuell und gesellschaftlich für nützlich halte – dann ist es ausschlaggebend, die zugrundeliegenden wissenschaftlichen Fakten exakt wiederzugeben.“
Um ganz bewusst erzeugte Begegnungen zwischen Wissenschaft und Fiktion bemüht sich auch das Projekt „Fiction meets Science“ von Volkswagen-Stiftung, Universität Bremen, Hanse-Wissenschaftskolleg und Universität Oldenburg. Und auch ein Blick ins Archiv des jährlichen Berliner Digitalfestivals re:publica lohnt sich, wenn es darum geht die Grenzen Zwischen Wissenschaft und Fiktion, zwischen verschiedenen Wahrnehmungsformen auszuloten. Im Jahr 2017 sprachen Joachim Haupt und Wenzel Mehnert von der Universität der Bildenden Künste Berlin über Business Science – Fictionalized. Der Vortrag ist bei Youtube zu sehen.
Die Wahrheit hat zur Zeit nicht den besten Ruf. Gibt es überhaupt Wahrheit in der Wissenschaft? Wie wahr kann evidenzbasierte Politik sein? Und was ist Wahrheit überhaupt?
Hinter dieser Reading List steckt meine eigene Sehnsucht nach Wahrheit in Wissenschaft UND Politik. Als Wissenschaftlerin, Expertin für Kommunikation und Filmemacherin nehme ich euch ein Stück weit mit auf meine eigene Suche.
Anregende Lektüre wünscht Ina Ivanceanu, CEO Oikoplus
So verlockend es auch ist, diese Reise beginnt weder mit Corona noch mit Trump. Sondern mit einem der ausnahmslos guten Sammelbände, die die deutsche Bundeszentrale für politische Bildung herausgibt. Das kluge Bändchen ist schlicht mit „Wahrheit“ betitelt (2017) – sieben Texte zu den Zusammenhängen von Erfahrung, Wirklichkeit, Wissen und Glaubwürdigkeit. Da schreibt der Soziologe Peter Weingart über einen Konsens in der Wissenschaft: nämlich dass es sich auch bei „Wahrheit” im Sinne wissenschaftlich gesicherter Fakten um soziale „Konstruktionen“ handelt. Die Wissensproduktion bleibt immer ein unabgeschlossener Prozess, der von Widerspruch, Interaktion, Diskurs, Verhandlung und Konsensbildung lebt. Also alles eine Frage der Interpretation? Sind Fakten beliebig veränderbar, relativ und deshalb nicht bindend oder handlungsrelevant? Keineswegs, anhand der Diskussion über den menschlichen Anteil am Klimawandel zeigt der Autor, dass Meinungen nicht gegen Forschungsergebnisse ausgespielt werden können – sie finden an diesen ihre Grenze.
Zurück in der Zeit und doch hochaktuell: die Gedanken der politischen Theoretikerin und Publizistin Hannah Arendt über die Ohnmacht und Kraft der Wahrheit. In ihren Essays „Die Lüge in der Politik” und „Politik und Wahrheit“ (auf deutsch 1969 erstmals erschienen) stellte sie fest: Über das, was wahr ist, kann nicht die Politik bestimmen, die dazu neige, mit der Wahrheit „auf Kriegsfuß“ zu stehen. Umgekehrt verteidigte Arendt die Politik, deren Praxis Menschen die einzige Möglichkeit eröffne, „die Welt zu verändern.“ Eine aktuelle Taschenbuchausgabe ist im Piper Verlag erhältlich, eine spannende Aufbereitung von Judith Zinsmaier gibt es dazu im Philosophie-Blog „praefaktisch.de“.
Das Online-Portal Eurozine, das Přibáňs Text veröffentlichte, ist aktuell eines der spannendsten Medienprojekte: Ein Netzwerk von über neunzig europäischen „Cultural Journals” von Portugal bis Russland, von Schweden bis Griechenland, das die besten Artikel aller Medienpartner*innen in Themenschwerpunkten kuratiert und übersetzt. Hier etwa der Link zum Schwerpunkt „Information: A public good“ mit 23 Artikeln dazu. Eine anregende und hochqualitative Sammlung.
Wissenschaft und Politik scheinen in der Pandemie oft zu verschmelzen. Teile der Bevölkerung betrachten dieses Amalgam als Figur einer Elite, die die Unmündigkeit des Bürgers ausnutzen möchte. Was aber unterscheidet Wissenschaft und Politik? Mitja Sienknecht und Antje Vetterlein vom Wissenschaftszentrum Berlin beziehen sich in ihrem Artikel „Wissenschaftliche Wahrheit und politische Verantwortung” auf Niklas Luhmann: Politik trifft kollektiv verbindliche Entscheidungen und übernimmt politische Verantwortung. Wissenschaft gewinnt Erkenntnisse und strebt – immer weiter – nach Wahrheit. Im Politiksystem ist die Kommunikation entlang der Unterscheidung zwischen Macht/Ohnmacht bzw. Regierung/Opposition strukturiert. Der zentrale Code im Wissenschaftssystem ist dagegen Wahrheit/Unwahrheit, der in der Politik normalerweise keine dominante Rolle spielt, hier ist sich Luhmann mit Arendt einig. Politik und Wissenschaft sieht er als zwei unabhängige Systeme, die in Austausch treten – etwa in Form von wissenschaftlicher Beratung, auf deren Grundlage politische Entscheidungen getroffen werden. Die Situation der Pandemie erschwert diese Verbindung, schreiben die Autorinnen: „Während zum einen die Politik jetzt dringender denn je auf die Fachkenntnisse der Wissenschaft angewiesen ist (…), ist die Wissenschaft weit davon entfernt, abschließende Daten präsentieren zu können, wie die umstrittenen unterschiedlichen Ergebnisse von Studien zur Corona-Infektions-Rate von Kindern zeigen.“ Die Revision einer Position sei in der Wissenschaft gerade kein Ausdruck von Schwäche, sondern ihr Alltagsgeschäft. Doch worauf kommt es an in Zeiten der Pandemie? Auf den Umgang der Politik mit Verteilungs- und Wertekonflikten, so die Autorinnen: „Politische Verantwortung heißt, sich nicht hinter der Wissenschaft zu verstecken, sondern vielmehr sich diesen unbequemen Fragen zu stellen – sprich: Politik zu machen.“
Wie soll Politik im Sinne der Wahrheit NICHT gemacht werden? Dazu zwei Text-Perlen:
Diese kleine Lesereise endet mit einer künstlerischen Empfehlung, nämlich für das Online-Programm „True Fake“. Es präsentiert Filme, die das Verhältnis zwischen Wahrheit und Fiktion, Kunst und Wissenschaft erforschen, und die naive Vorstellung objektiver Wahrheit in Frage stellen. Ein wechselndes Programm der ebenso renommierten wie aufregenden künstlerischen Plattform E-Flux, das vom eigenen E-Journal begleitet wird. Die Filme sind von 9.2. bis 20.4. zu sehen, darunter das neue Projekt meiner vielfach preisgekrönten Filmfreundin Manu Luksch: ALGO-RHYTHM, ein Hip-Hop-Musical gegen automatisierte Propaganda, featuring Gunman Xuman, Lady Zee, OMG. Don’t miss!
Aus unseren Projekten
Im Projekt ArcheoDanube, an dem Oikoplus gemeinsam mit dem Verein Sustainication e.V. beteiligt ist, ist die Grundlagenstudie über Kulturerbe und Kulturtourismus jetzt abgeschlossen. Aktuell arbeiten wir an der Erstellung eines Leitfadens für die Gestaltung lokaler Archäologischer Parks. Mehr Infos hier.
Im Projekt SYNCITY gibt es neue Cureghem Tales, besondere Empfehlung für den Februar: Madame Zouma und ihr Ingwersaft. Und es geht in den Endspurt für die Texte der Urban Innovation Toolbox: Hands-On Ideen und Inspiration für partizipative und nachhaltige Stadterneuerung, ab Mai erhältlich.
Und das Horizon 2020 Projekt EnergyMEASURES stellt die Frage: welche einfachen und preiswerten Strategien können Haushalten helfen, die von Energiearmut betroffen sind? Leider erschwert die Pandemie es aktuell, mit den betroffenen Haushalten wie geplant direkt zusammenzuarbeiten. Neuigkeiten finden sich unter energymeasures.eu.
Die Welt war schon vor Covid-19 vernetzt und verdichtet, und stellte in ihrer Komplexität schon zuvor das Herzstück unseres Gemeinwesens auf die Probe: die Demokratie. Wie genau es darum in- und außerhalb Europas beschaffen ist, berichtet jedes Jahr der Demokratie-Index der britischen Economist Intelligence Unit. Jetzt, wo die Pandemie die meisten Staaten fest in der Hand hat und Maßnahmen zur Eindämmung verhängt wurden, ist es möglich oder vielleicht sogar wahrscheinlich, dass weitere Restriktionen eintreten werden. In dieser Reading List teilen wir mit euch spannende Beiträge, Artikel und Projekte, die danach fragen, wie wir uns trotz Einschränkungen unserer Kontakte und physical distancing an gesellschaftlichen Fragestellungen beteiligen und diese mitbestimmen können, und welche Methoden der e-Partizipation uns darin unterstützen, den Dialog auf Augenhöhe aufrecht zu erhalten.
Spannende How To’s rund um e-Partizipation bietet das Grünbuch des österreichischen Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport – ein fundierter Leitfaden für Partizipation im digitalen Zeitalter. Die Autor*innen heben die Bedeutung von Beteiligung und Transparenz für eine lebendige Demokratie hervor und sehen in digitalen Partizipations- und Kommunikationsformaten zeitgemäße Lösungsansätze. Sie argumentieren, dass der Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien es ermöglicht, Beteiligungsprozesse einfacher zu gestalten und Beteiligungshemmnisse zu beseitigen. Bestimmte Zielgruppen können durch digitale Partizipationsformate besser erreicht und eingebunden werden als mit Hilfe analoger und präsenzbetonter Methoden. Wer kennt ihn nicht, den Monolog jener, die sich gerne reden hören und die Stille derer, die sich nicht trauen, ihre Meinung kundzutun? Hier schafft e-Partizipation auch auf diskursiver Ebene Abhilfe.
Über Chancen und Herausforderungen eben solcher Initiativen informiert der Abschlussbericht zum Projekt ‚Offene Staatskunst – Bessere Politik durch Open Government«?‘. In dem von Google initiierten Co:llaboratory – ein Multistakeholder Think-Tank und Policy Labor – widmen sich Expert*innen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und dem Unternehmensbereich der Frage, wie Konzepte der Offenen Staatskunst in die politische Kultur am Beispiel Deutschlands integriert werden können. Im Kapitel ‚eParticipation: Einmischen erwünscht!’ findet ihr zahlreiche Empfehlungen für e-Partizipationsprojekte – von der Konzeption bis zur Umsetzung. Ein Schmankerl für diejenigen, die es ganz genau wissen wollen: die Best Practice Sammlung mitsamt Analysen und Erfolgsfaktoren.
Welche konkreten Tools für e-Partizipation können wir in unseren eigenen (Arbeits-) Alltag einbringen? Involve, eine in Großbritannien basierte, gemeinnützige Organisation bietet auf ihrer Website Einführungen (auf Englisch) in zahlreiche digitale Tools und Partizipationsverfahren an: Crowd-mapping, interactive whiteboards, interactive Q&A’s, etc.
Eine beinahe ebenso umfassende Einführung in das Universum der e-Partizipation bietet das Kleine 1×1 der digitalen Partizipation von Zebralog. Der Fokus liegt auf den zusätzlichen Kompetenzen die e-Partizipation von den Organisator*innen einfordern. Die Beteiligungs- und Partizipationspioniere aus Deutschland haben auf ihrer Website eine ganze Reihe an Methoden, Tools und Ideen gesammelt, damit ihr eure Videokonferenzen interaktiver und partizipativer gestalten könnt, führen aber auch aus, dass noch kein*e Meister*in vom Himmel gefallen ist. Es gilt: üben, üben, üben!
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